«Distinguished Senior Researcher» Dominik Brunner

Der Atmosphären-Späher

01.12.2022 | NORBERT RAABE

International anerkannter Atmosphärenforscher und «Distinguished Senior Researcher» an der Empa: Dominik Brunner ist ein Wissenschaftler, der sein Themengebiet aus vielen Blickwinkeln erkundet hat – mit einer wetterfesten Motivation und Neugier, die ihn bis heute antreibt.

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Über den Dächern von Zürich: Dominik Brunner vor dem Stahlturm auf dem Dach des Hochhauses Hardau II, an dem auch Messgeräte für das EU-Forschungsprojekt «ICOS-Cities» installiert sind. Bild: Empa

Liest man einen Artikel über Luftverschmutzung in der Schweiz, über Treibhausgase oder den Klimawandel, stecken höchstwahrscheinlich auch Gedanken und Ideen von Dominik Brunner darin, seit 2006 Leiter der Gruppe «Atmosphärische Modellierung und Fernerkundung» an der Empa, Professor für Troposphären-Chemie an der ETH Zürich. Beteiligt an Satellitenmissionen der Europäischen Weltraumbehörde ESA und an zahlreichen internationalen Forschungsprojekten, Mitbegründer des Schweizer Messnetzes für Treibhausgase und vieles mehr. Und mehrfach ausgezeichnet für seine Forschung, darunter als «Distinguished Senior Researcher» der Empa.

Wie kam das? Stetig und geduldig. Das Thema Umwelt hatte Dominik Brunner schon in der Jugend interessiert; in den Achtzigerjahren, als die Umweltbewegung aufkam – mit dem Motto «Jute statt Plastik», wie er mit einem Lächeln erzählt, mit Abfallvermeidung, grünen Initiativen und dem Versuch von damaligen «Aktivisten», die Migros als Genossenschafter mit vereinten Kräften stärker auf einen umweltfreundlichen Kurs zu bringen.

Ein «Grüner» mit politischen Ambitionen wurde Brunner trotzdem nicht, sondern studierte Physik an der ETH Zürich. In seiner Diplomarbeit baute er ein Gerät zur Messung von Wasserstoffperoxid (H2O2) in der Umgebungsluft; das Doktorat setzte das Thema fort – ein vollautomatisches Messsystem, das an Bord einer Maschine der Swissair zum Einsatz kam. Im Fokus des Atmosphären-Spähers: Stickoxide und Ozon, die schon damals wichtige Umweltfaktoren waren.

Sie sollten sich als Türöffner erweisen. Heraus kam eine Publikation im renommierten Journal «Science» und eine Auszeichnung der ETH – für die Entdeckung, dass manche Phänomene weiterverbreitet sind als zuvor angenommen. Zum Beispiel grossräumige Stickoxid-«Fahnen» in der Region der Tropopause, der Grenzschicht oberhalb der erdnahen Troposphäre – verursacht durch Blitze und Aufwärtstransport von Luftschadstoffen von der Erdoberfläche in Gewitterwolken.

Mess-Türme, Flugzeuge, Satelliten …
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Dominik Brunner beobachtet die Werte für Verbindungen, die das System rund um die Uhr registriert und aufzeichnet – unter anderem die Klimagase Kohlendioxid, Methan und Lachgas. Bild: Empa

Weil neue Einsichten immer auch neue Fragen aufwerfen, folgten während zwei Postdoc-Stationen am Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut (KNMI) und an der ETH Zürich mehrere Flugzeugmesskampagnen – in Kanada, Brasilien und Australien, wo ein ehemaliges russisches Spionageflugzeug zum Einsatz kam, das in bis zu 20 Kilometer Höhe flog. «Es ging uns auch um Stickoxidproduktion durch Blitze», erzählt Brunner, «die Flugzeuge flogen in Gewitterwolken; das hatte schon einen gewissen Abenteuerfaktor.»

Ein Highlight in seiner Laufbahn. Wie später das «CarboCount-CH»-Projekt, bei dem ein Schweizer Team um Brunner auch den Beromünster-Turm, den einstigen Radiosender abseits von grossen Schadstoffquellen, mit innovativen Messgeräten ausstattete. «Das war das erste Treibhausgas-Messnetz der Schweiz», erzählt der Forscher, «die Station läuft heute noch und ist inzwischen sogar Teil des NABEL-Messnetzes, des Nationalen Beobachtungsnetzes für Luftfremdstoffe.» Zusammen mit Stationen wie dem Jungfraujoch und anderen also die eidgenössische «Hardware» für die Erkundung von Umweltgefahren und Klimarisiken.

Gelegenheiten für Pionierarbeiten liefen Dominik Brunner, so scheint es, häufig über den Weg. Und er griff zu – aus reiner Neugier. Eine wichtige Forschertugend, findet er – wie der Mut, auch ganz eigene Ideen zu verfolgen. Beispiel Satelliten: Die ersten Inspirationen bekam er schon am KNMI in Holland, das damals den Satelliten OMI («Ozone Monitoring Instrument») entwickelte. «Da habe ich gesehen, wie schön man Modellierung und Satellitenmessungen verbinden kann», erzählt er. Und so stieg er tiefer ins Thema ein und versuchte, die Messungen mit Hilfe neuer Algorithmen zu verbessern, die berücksichtigten, dass unterschiedliche Böden wie Grassflächen das Sonnenlicht auch unterschiedlich zu den Sensoren im Satelliten reflektieren.

Hitzeinseln in der Stadt
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In 24 Behältern wird die Zürcher Aussenluft nach vorgegebenen Regeln gespeichert. Die Auswertung übernehmen Forscher an Partnerinstituten in Deutschland. Bild: Empa

Bei dieser globalen Perspektive sollte es nicht bleiben. Seit er an der Empa ist, richtet Brunner seinen Blick immer mehr auf regionale und kleinräumige Probleme, zum Beispiel auf städtische Luftverschmutzung und Hitze-Inseln: das Klima in Zürich. Und weil die stetig steigende Rechenleistung von Supercomputern immer feinere Wettermodelle erlaubt, entstanden Simulationen bis hinein in Strassenschluchten.

Vom Orbit bis aufs Trottoir …  – ja, nickt Brunner: «Ich habe sehr viele Themen und Massstäbe abgedeckt». Eine Ansammlung von Wissen und Erfahrung, die er gerne weitergibt – ob in Vorlesungen, bei der Betreuung von Doktorarbeiten und auch als Leiter einer Forschungsgruppe. «Mit motivierten Doktorierenden zu arbeiten, ist natürlich immer super», sagt er, «aber eigentlich liegt mir das Chefsein nicht so richtig, gerade wenn es darum geht, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Ich bin aber in diese Rolle hineingewachsen und fühle mich wohl damit.»

Gibt es überhaupt ein Ärgernis?

Nun ja, in der Debatte um die Klimaforschung behagt ihm manches nicht: «Es heisst ja oftmals, die Forschenden machen nur Panik, um mehr Forschungsgelder zu bekommen», sagt Dominik Brunner, «das ist schon etwas, das mich ärgert.» Schliesslich sind die grossen Trends der Erderwärmung inzwischen gut bestätigt – und dass es offene Fragen gibt, wird keineswegs bestritten. Als Beispiel erklärt der Klimaforscher «Feedback»-Effekte: Wird es wärmer, schmelzen die Schnee- und Eisregionen, vor allem in der Arktis – mehr dunkle Oberflächen also, die mehr Sonnenlicht absorbieren und so wiederum die Erwärmung beschleunigen.

Auf der anderen Seite: Mit steigenden Temperaturen werden Bäume in höheren Regionen wachsen. Die Baumgrenze in der Schweiz steigt, so Brunner, und unter dem Strich wächst die Vegetation weltweit – und bindet damit auch mehr Kohlendioxid. Doch ob solche Effekte längerfristig einen Ausgleich bringen? «Die Vegetation kann ja nicht beliebig wandern», sagt er, «was mir wirklich Sorgen macht: Wir könnten die Folgen der Klimaerwärmung sogar noch unterschätzen.»

Müsste man da nicht offensiver kommunizieren? Auch politisch Klartext reden, wie manche andere Klimaforscher? Dominik Brunner möchte sich lieber in der Forschung engagieren und nicht zu sehr in der Öffentlichkeit exponieren – und Freude am Streiten hat er ohnehin nicht. Presse-Interviews, nun ja, die gibt er – «wenn es sein unbedingt muss …», setzt er lächelnd hinzu.

Dominik Brunner

Dominik Brunner absolvierte ein Postdoktorat am Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut in De Bilt und war Forschungsassistent am Institut für Atmosphäre an der ETH Zürich. Seit 2006 leitet er die Gruppe für Atmosphärische Modellierung und Fernerkundung an der Empa.

Nach einem Physikstudium an der ETH Zürich widmete Brunner sich der Atmosphärenforschung im Bereich Stickoxide, Klimagase und weiteren Gebieten. Er publizierte Arbeiten zu Modellierungen und Messtechnologie und nahm an Satellitenmissionen der European Space Agency (ESA) teil. An der ETH Zürich hat er mehrere Lehraufträge und ist Mitglied in zahlreichen Fachgremien. Auszeichnungen bekam er für seine Doktorarbeit, als Gutachter für ERC-Forschungsförderanträge und als «Distinguished Senior Researcher» der Empa.

Präzise Messungen für Metropolen

Lieber spannende Projekte wie eine europaweite Messkampagne, die gerade gestartet ist. Das EU-Projekt «ICOS-Cities» wird die Emissionen von Klimagasen in grossen Städten unter die Lupe nehmen – in Zürich, später in München und Paris. Schliesslich sind Metropolen weltweit, grob geschätzt, für rund 70 Prozent der Klimagas-Emissionen verantwortlich. Für die drei europäischen Städte unterschiedlicher Grösse soll «ICOS-Cities» nun hilfreiche Daten liefern – auch mit Hilfe von Messungen auf einem Wohnturm der Zürcher Siedlung Hardau II, fast 100 Meter hoch, einst das höchste Gebäude der Stadt.

Neben herkömmlichen Messungen von Kohlendioxid-Konzentrationen, aus denen Emissionen «rückwärts» errechnet werden, wird ein Verfahren namens «Eddy-Kovarianz» eingesetzt. Dank extrem schneller Sensoren können damit Aufzeichnungen von Klimagasen wie CO2, Methan und Lachgas mit Messungen von Auf- und Abwinden korreliert werden. Das erlaubt, das «Atmen» der Stadt aufzuzeichnen – und damit Rückschlüsse auf Ursachen von Emissionen. Und diese Daten könnten wiederum auch verraten, wie unterschiedlich sich etwa der Strassenverkehr an Arbeitstagen oder Wochenenden auswirkt.

Ein reizvolles Projekt für den Atmosphären-Späher, das bis 2025 Ideen, Neugier und Ausdauer erfordern wird – im kleinen Kreis der Wissenschaftler, nicht auf der Bühne der Klimapolitik. Und doch mit praktischem Wert für Menschen in Grossstädten. «Der Klimawandel ist sicher das zentrale Thema in der Atmosphärenforschung», sagt Dominik Brunner, «für mich ist das schon eine Herzensangelegenheit.»

Informationen
Prof. Dr. Dominik Brunner
Air Pollution / Environmental Technology
Tel. +41 58 765 49 44
dominik.brunner@empa.ch

Redaktion / Medienkontakt
Norbert Raabe
Kommunikation
Tel. +41 58 765 44 54
norbert.raabe@empa.ch



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