Städtische «Hitzeinseln» im Sommer

Hitzewellen heizen Städte stärker auf

21.07.2017 | MICHAEL HAGMANN

Der Juni 2017 brach in der Schweiz etliche Wetterrekorde. Vor allem war der Monat, mit einer Hitzewelle zwischen dem 19. und 23. Juni, ausserordentlich heiss, der zweitheisseste Juni seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Städte heizen sich wesentlich stärker auf als umliegende Regionen, ein Effekt, der als städtische Hitzeinseln bekannt ist. Um die Ursachen besser zu verstehen – und vor allem um effektive Gegenmassnahmen ergreifen zu können – haben Wissenschaftler an der Empa und der ETH Zürich Modelle zur Wettervorhersage mit den Auswirkungen von Gebäuden und Strassen auf die Bildung von Hitzeinseln kombiniert. Daraus ergab sich eine detaillierte Wärmekarte für Zürich, die zur Vorhersage lokaler Lufttemperaturen verwendet werden kann.

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Die jüngste Hitzewelle in der Schweiz Ende Juni 2017 weckt Erinnerungen an die Hitzewellen von 2015 und 2003. Städtische Gebiete sind am stärksten betroffen, da diese Regionen einen Effekt aufweisen, der als städtische Hitzeinseln (engl. Urban Heat Island, UHI) bekannt ist und der im Vergleich mit der ländlichen Umgebung durch höhere Lufttemperaturen gekennzeichnet ist. Gründe für städtische Hitzeinseln sind dunkle Oberflächen, z. B. von Dächern und Strassen, die zu einer höheren Absorption der Sonnenenergie führen, ein Mangel an Verdunstungskühlung durch Vegetation, wenig offener Raum und damit ein Mangel an Durchlüftung und Nachtkühlung.

Städtische Hitzeinseln kennt man aus mehr als 400 Städten auf der ganzen Welt, sie weisen vor allem nachts bis zu sieben Grad «Übertemperatur» auf. Hitzewellen tragen nicht nur zu allgemeinem Unwohlsein und schlaflosen Nächten bei, sondern können auch aufgrund der Auswirkungen auf das menschliche Herz-Kreislauf-System und die Atemwege ernsthafte Erkrankungen, Erschöpfung, einen Hitzeschlag und sogar hitzebedingte Todesfälle verursachen.

800–1000 zusätzliche Todesopfer wegen Hitze
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Hitzeinseleffekt in Zürich während der Hitzewelle im Juni 2017: Stadtplan von Zürich mit den modellierten mittleren Lufttemperaturen zwei Meter über Boden um sechs Uhr morgens am 22. Juni. Das grosse Gebäude unterhalb der Bildmitte ist der Zürcher Hauptbahnhof, die hellgrüne Fläche am unteren Bildrand der Zürisee. (Quelle: Empa / ETH Zürich / Gianluca Mussetti)

 

Die Schweiz erlebte 2003 und 2015 – die Jahre mit den beiden heissesten Sommern seit über 150 Jahren – ausgeprägte Hitzewellen. Einer Untersuchung von Forschern des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts in Basel aus dem Jahr 2016 zufolge wurde für diese Sommer eine Zunahme der Mortalitätsrate um 6,9 % bzw. 5,9 % mit 960 und 804 zusätzlichen Todesfällen geschätzt. Insgesamt wurden im Sommer 2003 in ganz Europa rund 70‘000 zusätzliche Todesfälle gemeldet.

Hitzewellen lassen sich mithilfe von Modellen zur Wettervorhersage simulieren, aber ihre Auswirkungen auf Städte sind immer noch nicht ganz geklärt. Deshalb kombinierten Jan Carmeliet, Professor für Bauphysik an der ETH Zürich, und Dominik Brunner, ein Atmosphärenwissenschaftler an der Empa, die Vorhersagemodelle mit den Auswirkungen von Gebäuden und Strassen, um die lokalen Lufttemperaturen in Städten besser vorhersagen zu können. Die daraus resultierende «Wärmekarte» von Zürich zeigt Details der Hitzeinsel mit einer Auflösung von bis zu 250 Metern (siehe Abbildung).

UHI-Effekte treten nachts am stärksten zutage wegen der Speicherung von Wärme durch Baustoffe während des Tages und deren Abgabe während der Nacht. Gianluca Mussetti, ein Doktorand an der ETH Zürich und an der Empa, untersuchte die Merkmale der jüngsten Hitzewelle vom 20. Bis 24. Juni 2017 in Zürich. Während der Nacht vom 21. auf den 22. Juni beobachtete er eine UHI-Intensität von knapp sechs Grad – 1,5 Grad über der UHI-Intensität der Hitzewelle von 2015. Ausserdem stellte Mussetti an diesen Tagen Temperaturunterschiede zwischen dem kühlsten und dem wärmsten Ort innerhalb der städtischen Hitzeinsel von bis zu drei Grad fest. Es ist bekannt, dass sich Hitzewellen vor allem an lokalen «Hotspots» der jeweiligen Städte manifestieren. In Zürich sieht man besonders hohe Nachttemperaturen im dicht bebauten Stadtzentrum, relativ kühlere Temperaturen für Gebiete in Seenähe, entlang der Limmat und an den Hängen des Züribergs, wo während der Nacht kühle Luft aus höheren Bereichen herunterströmt. Die Forscher konnten insbesondere einen Zusammenhang zwischen der städtischen Durchlüftung und den Lufttemperaturen beobachten: Ein Mangel an innerstädtischer Luftzirkulation führt zu weniger Wärmeabfuhr – und damit zu einer höheren UHI-Intensität (siehe Abbildung).

Gesucht: Strategien zur Linderung der städtischen Hitzeinseln
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Stadtplan von Zürich mit den modellierten mittleren Lufttemperaturen zwei Meter über Boden um 16 Uhr nachmittags am 22. Juni. (Quelle: Empa / ETH Zürich / Gianluca Mussetti)

 

Angesichts einer bevorstehenden Zunahme von Hitzewellen in der Zukunft sind Stadtbewohner überall auf der Welt in Bezug auf ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit ernsthaft gefährdet. Daher werden die Untersuchung städtischer Hitzeinseln und die Entwicklung von Strategien zu deren Abschwächung für viele betroffene Länder und Städte immer wichtiger. Um wirksam zu werden, müssen Massnahmen zur Bewältigung des Klimawandels und Strategien zur Minderung des UHI-Effekts allerdings über einen längeren Zeitraum umgesetzt und angewandt werden.

Durch künftige Studien wollen die Forscher der ETH Zürich und der Empa die Ursachen der städtischen Hitzeinseln und der lokalen Hotspots in den Städten noch besser verstehen. Ausserdem wollen sie Gegenmassnahmen entwickeln, etwa eine vermehrte Nutzung von städtischem Wasser bei Hitzewellen, vorübergehende Abkühlungsmassnahmen wie intelligente Beschattung oder Kühlsysteme unter Strassen und Gehwegen.

Informationen

Prof Dr Jan Carmeliet
Laboratory for Multiscale Studies in Building Physics
Tel +41 58 765 41 18

Dr Dominik Brunner
Air Pollution / Environmental Technology
Tel +41 58 765 4944

Gianluca Mussetti
Air Pollution / Environmental Technology
Tel +41 58 765 6091


Redaktion / Medienkontakt
Dr. Michael Hagmann
Kommunikation
Tel. +41 58 765 45 92

Interview mit Jan Carmeliet


(Photo: ETH Zürich / Peter Rüegg)

Interview mit ETH News


ETH-Klimarunde 2017
Städte und Klimawandel werden auch das Thema bei der ETH-Klimarunde 2017 sein, die am 8. November 2017 an der ETH Zürich stattfinden wird.

Bilder können Sie hier herunterladen

Hitzewelle 2017 - Visualisierung

Hitzewelle 2015 - Visualisierung