Bild: Erste Prototypen der «Blutdruck-Uhr» mit
dem Empa-Band aus piezo-resistiven Fasern.
Blutdruckmessungen und -überwachungen sind für
Patienten eine mühselige Angelegenheit. Eine Manschette, die
über mehrere Stunden alle 15 Minuten aktiv wird und den
Oberarm komprimiert, ein störendes Messgerät am
Körper, allenfalls sogar eine invasive Überwachung, bei
der ein Katheter in die Arterie eingeführt wird, sind die
Regel. Kein Wunder vermeiden die Betroffenen diese Prozedur, falls
irgendwie möglich.
Ein neuer Sensor, kaum grösser als eine Armbanduhr, soll bald
eine angenehmere Methode der Blutdruckmessung bieten. Die Firma
STBL Medical Research AG (STBL) entwickelte ein Gerät, das
bequem am Handgelenk getragen werden kann und den Blutdruck
kontinuierlich aufzeichnet – ganz ohne Druckmanschette oder
blutigen Eingriff. Gemessen wird, indem an der Hautoberfläche
in Handgelenksnähe mit mehreren Sensoren gleichzeitig
Anpressdruck, Puls und Blutdurchfluss gemessen wird. Michael
Tschudin, Mitgründer von STBL, sieht grosses Potenzial:
«Das Messgerät kann für medizinische Zwecke
eingesetzt werden, etwa zur Vorsorge bei Risikopatienten oder zur
Behandlung von Bluthochdruck, aber auch als Blutdruck- und
Pulsmesser für Freizeitaktivitäten, Sport sowie zur
Formstandüberwachung im Spitzensport.»
Empa-Sensor erhöht Messgenauigkeit
enorm
Die Ingenieure hatten mit der neuen Technologie vor allem ein
Hindernis zu meistern: Der Gerätedruck auf die Haut
wechselt ständig, weshalb hoch sensible Korrekturmessungen
notwendig werden. Für dieses Problem suchte die Abteilung
Hochleistungskeramik der Empa im Rahmen eines KTI-Projektes eine
passende Lösung. Ein Sensor aus piezo-resistiven Fasern im
Armband misst den Anpressdruck des Gerätes auf der Haut.
Verändert sich die Signalstärke durch Verrutschen oder
durch Muskelanspannung, könnte dies zu Fehlmessungen
führen. Genau diese Veränderungen registriert der
Empa-Sensor – und dementsprechend können die Messwerte
korrigiert werden. Die Faser ist elektrisch leitend, erkennt eine
Verschiebung oder Druckveränderung, wandelt sie in ein
elektrisches Signal um und leitet dieses an das Messgerät
weiter. Damit gelingt es, die Messgenauigkeit der
«Blutdruck-Uhr» um mehr als 70 Prozent zu steigern.
«Vor vier Jahren haben wir den ersten Prototypen
hergestellt», so Doktor Frank Clemens von der Empa-Abteilung
«Hochleistungskeramik». Mittlerweilen haben
entsprechende Tests die Funktionsfähigkeit der Sensoren
bestätigt. Die Empa arbeitet nun mit Hochdruck daran, den
Piezo-Sensor so in das Gerät zu integrieren, dass es nicht nur
optisch ansprechender wird, er sollte sich auch einfach und ohne
viel Aufwand einbauen lassen. Etwa durch Einkleben, Einlaminieren
oder Einweben.
Nothelfer am Handgelenk
Der Markt für ein solches Gerät ist immens.
Kardiovaskuläre Krankheiten gelten als die häufigste
Todesursache weltweit. Mehr als eine Milliarde Menschen
müssten täglich ihren Blutdruck messen, um mögliche
Folgen ihrer Hypertonie zu vermeiden. Jährlich werden daher
etwa 60 bis 70 Millionen Messgeräte verkauft, die jedoch keine
kontinuierliche Messung erlauben. Eine permanente Messung
könnte dagegen zusätzliche Sicherheiten bieten; gerade
bei der Möglichkeit eines bevorstehenden Herz- oder
Hirninfarkts könnte das System rechtzeitig Alarmsignale geben.
Denn: Einem Herzinfarkt wie auch einem Hirnschlag geht eine
erhöhte Stosswelle voraus, die das System erfasst und
auswertet. Damit wären Notfallmassnahmen möglich, bevor
Schlimmeres passiert. Um die Treffsicherheit bei solchen
Ereignissen stetig zu verbessern sind weitere Testserien an
Menschen geplant.
Die permanente Messung bietet aber noch weitere Vorteile, wie
Professor Thomas Lüscher, Direktor der Klinik für
Kardiologie am Universitätsspital Zürich und
Mitgründer der STBL, erklärt: «Damit haben wir die
Möglichkeit, den Blutdruck im natürlichen Umfeld der
Patienten zu erfassen. Der Patient wird in seiner Bewegungsfreiheit
nicht eingeschränkt.» Der
«Weisskittelhochdruck», also die Nervosität des
Patienten beim Arzt, die Messungen verfälschen kann,
fällt bei der neuen Methode weg.
Günstiger, einfacher, komfortabler
Zurzeit laufen klinische Tests. Bereits wurden erste Messungen
parallel zu einem Eingriff – mit viel versprechenden
Ergebnissen - durchgeführt. Das Produkt soll vorerst in zwei
Varianten ausgeliefert werden: ein medizinisches
Überwachungsgerät und eine «abgespeckte»
Variante als Freizeitgerät für Sportler oder
Jedermann. «Der Sensor wird günstiger sein als die
bisherigen 24-Stunden-Messgeräte, wie sie zurzeit in
Spitälern verwendet werden», bestätigt Tschudin.
Solche Geräte kosten bis zu 6‘000 Franken, die
«Blutdruck-Uhr» rund zehnmal weniger.
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