Porträt Bernd Nowack

Jäger der verlorenen Partikel

20.10.2014 | MARTINA PETER
Bernd Nowack wurde kürzlich von «Thomson Reuters», Anbieter von wissenschaftlichen Online-Datenbanken, in den Kreis der weltweit einflussreichsten Wissenschaftler auf dem Gebiet der Umweltwissenschaften aufgenommen. Der Empa-Forscher untersucht Umweltaspekte von Na-nopartikeln. Ein Besuch in St. Gallen.
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Der Zufall hat Bernd Nowack auf Nanopartikel gebracht. Sieben Jahre war der Umweltchemiker Oberassistent am Institut für Terrestrische Ökosysteme der ETH Zürich. 2006 wurde er ins «Editorial Board» der Fachzeitschrift «Environmental Pollution» berufen. Der Chefredaktor suchte gerade einen Autor für einen Artikel zum Thema «Nanoteilchen in der Umwelt» für die Jubiläumsausgabe des Blattes. Kurzentschlossen empfahl Nowack sich selbst. Denn fast gleichzeitig hatte er eine neue Stelle an der Empa angetreten, in der es darum ging, die Auswirkungen der Nanotechnologie auf die Umwelt zu untersuchen.
Gesagt, getan. Der Artikel war Nowacks Einstieg in die Nanowelt – er wurde sein bislang meistzitierter Artikel. Forscher, die über die Umweltexposition von Nanopartikeln schreiben, kommen um ihn nicht herum. Noch heute werde der Artikel pro Jahr rund 100 Mal zitiert, bemerkt Nowack nicht ohne Stolz, häufig auch von Autoren aus ganz anderen Disziplinen.
Als Forscher beschäftigt ihn heute vor allem die Frage, wie und in welcher Form sich Nanomaterialien aus Produkten freisetzen, wie sich mit Hilfe von rechnerischen Modellen die Materialflüsse in die Um-welt bestimmen lassen und welche Risiken dabei entstehen können. Darüber hat er bislang rund 50 Artikel publiziert. Das hat Nowack nun einen Platz auf der Liste der weltweit einflussreichsten Wissenschaftler beschert.

Ein Mann mit vielen Interessen

«Chancen anzupacken, wenn sie sich einem bieten, das ist mein Ding», sagt Nowack. «Ich gehe nicht gern in die Tiefe.» Er kann es sich nicht vorstellen, sich wie andere Wissenschaftler über Jahrzehnte hinweg mit den Details eines akademischen Gegenstands zu beschäftigen. Nowack sieht sich als einen Typus Forscher, der herausfindet, dass es Pi gibt, dass Pi etwa 3.1 irgendwas ist und dass man mit die-sem Wissen etwas Konkretes machen kann. «Andere können dann gerne die nächste Million Stellen identifizieren.» Ihn fesseln Themen, zu denen er mit seinem Team etwas Wesentliches beitragen kann. Um dann schon bald zum nächsten Thema weiter zu gehen. «Hier an der Empa gibt es noch so viele umweltrelevante Fragestellungen in Bezug auf neue Materialien».
Schon sein Studienfach wählte er damals aus, weil es ihm vielfältig schien. Im damals an der ETH Zürich neu angebotenen Studiengang Umweltnaturwissenschaften konnte er all die naturwissenschaftlichen Fächer belegen, die ihm schon in der Schule gefielen. «Das Thema Waldsterben trieb uns in den 1980er-Jahren alle um,» blickt er zurück. «Uns Jugendlichen wurde gesagt, die Schweiz würde eine Säuresteppe sein, wenn wir erwachsen sind.» Dabei sah sich Nowack nicht als «Fundi». Ihm war es als «Realo» wichtiger, die wissenschaftlichen Aspekte des Problems zu verstehen als die Welt zu retten. Es habe damals ein grosses Aufschaukeln in den Medien stattgefunden, die Wissenschaftler hätten es mitgetragen, meint er. So sei etwa das regionale Waldsterben im Erzgebirge, das ganz eindeutig durch den lokalen Schwefeldioxid-Ausstoss der Industrie in Sachsen entstanden ist, öffentlichkeitswirksam als globales Problem deklariert worden.

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Lieber einfach als spektakulär – dafür aber relevant

Einfach mal etwas machen und dabei auch mutig sein, lautet sein Grundsatz. Manchmal sei es ihm vorgekommen, als brauche es beinahe mehr Mut, anstatt der spektakulären die einfachen Themen an-zupacken. Es sei ihm ein Rätsel, weshalb sich beispielsweise praktisch niemand detailliert mit Nanopar-tikeln beschäftigt habe, die aus Textilien, etwa silberbeschichteten, antibakteriellen Socken, in die Waschlauge austreten. Jahrelang gab es dazu keine wissenschaftlichen Studien. Nowack: «Offenbar dachten alle, das Thema sei zu banal.»
Doch der Empa-Forscher sah die gesellschaftliche Relevanz. Die Menschen – und nicht zuletzt der Ge-setzgeber – wollten schliesslich wissen, was in ihrer Waschmaschine vor sich geht und ob austretende Nanopartikel «gefährlich» werden können. Und darauf müsse er als Forscher Antworten geben. Dabei hat er mit seinem Team Interessantes entdeckt: Textilien mit Nano-Beschichtung verursachen weniger Nanopartikel im Waschwasser als mit «normalem» Silber beschichtete. Dies führte ihn zur Frage, wie die chemische Zusammensetzung des Waschmittels die Freisetzung beeinflusst; daran arbeitet er zur Zeit.

Nicht aufschaukeln, sondern Ruhe in die Diskussion bringen

Mit seinen Studien deckt Nowack meist keine Skandale auf, im Gegenteil, er kann häufig Entwarnung geben. Wäre es ihm nicht lieber, auch einmal einen Coup zu landen und von einem bedenklichen Re-sultat berichten? «Jeder», so seine Antwort, «der sich im Risikobereich bewegt, würde natürlich gerne einmal publizieren, dass er ein Problem geortet habe.» Er sehe seine Aufgabe jedoch in erster Linie da-rin, fundierte Daten und Auswertungen zu liefern, um die Sachlage unabhängig beurteilen zu können. Nowack will bei kontroversen Themen nichts totschweigen, aber auch nicht zum Aufschaukeln beitra-gen, sondern vor allem Ruhe reinbringen. Sein Erbe aus den 80er-Jahren.
Der Erfolg gibt ihm Recht. Er ist als Forscher momentan in der angenehmen Lage, dass er seine For-schungsprojekte frei auswählen kann. Er erhält mehr Anfragen für gemeinsame Projekte und Expertisen, als er mit seinem Team bewältigen kann. Das wichtigste seien seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Ideen aufgreifen, eine Arbeit in eine gänzlich neue Richtung lenken oder Wissen beisteuern, das er selber nicht hat. Nur im Team sei es heutzutage möglich, Forschung in ihrer ganzen Bandbreite zu betreiben und in immer neue, interessante Gebiete und Fragestellungen vorzustossen.

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Kunst aus der Bierdose: Solarigraphie
Ein neues Feld betritt Nowack auch in seiner Freizeit. Er widmet sich der Solarigraphie, einer ganz be-sonderen Art der Fotografie. Nach der Sonnenwende im Dezember, spätestens im Januar, verteilt er in der Natur, an Brücken oder auf Dächern – etwa auf den Empa-Gebäuden in St. Gallen – Bierdosen-Lochkameras. In diesen liegt ein Fotopapier, das während sechs Monaten über ein winziges Loch be-lichtet wird und die Spuren der Sonne aufzeichnet. Im Juni, wenn die Sonne ihren Höchststand erreicht hat, «erntet» Nowack die Dosen. Faszinierend sei, dass zwischen der Komposition des Bildes vor Ort und der fertigen Aufnahme ein halbes Jahr vergehe. «Der Zufall ist oft mein wichtigster Mitspieler», bemerkt er. Manchmal sind die Dosen verschwunden oder beschädigt, oder sie produzieren verrückte Effekte. Nowack scannt die langbelichteten Fotopapiere ein – ohne sie zu entwickeln – und wandelt sie im Bildbearbeitungsprogramm zum Positiv um. Die Farben entstehen durch farbige Silbersalze, die im Negativ gelblich oder rötlich sind. Gerne möchte er darüber nächstens einmal einen wissenschaftlichen Artikel schreiben, mehr über die Beziehung von Kunst und Wissenschaft reflektieren. Denn im weitesten Sinne geht es auch hier um Nanotechnologie: Silberpartikel in Nanogrösse sorgen dafür, dass das Licht in einem chemischen Prozess auf dem Papier Spuren hinterlässt. Hier schliesst sich der Kreis zu seiner wissenschaftlichen Arbeit über Silber.
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Redaktion / Medienkontakt

Eine Sammlung seiner privaten Fotos finden Sie hier.

«The World’s Most Influential Scientific Minds»
Bernd Nowack wurde vom Verlag «Thomson Reuters» als einer der rund 140 weltweit einflussreichsten Forscher auf dem Gebiet der Umweltwissenschaften/Ökologie bezeichnet. Anhand des von Thomson Reuters betriebenen «Web of Science», das mehrere Online-Zitationsdatenbanken umfasst, ermittelte das Unternehmen sämtliche «Highly Cited Researchers» der Jahre 2002 bis 2012 in 21 Forschungsge-bieten. Wie oft eine Forscherin oder ein Forscher zitiert wird, gilt als entscheidender Messwert für den Einfluss einer wissenschaftlichen Veröffentlichung und das Ansehen der Autoren in der Fachwelt. Die Liste «The World’s Most Influential Scientific Minds» umfasst insgesamt rund 3200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.