Partnerin für die Medtech-Industrie

«Ersatzteile» für Menschen als Herausforderung

03.12.2008 | REMIGIUS NIDERÖST
Anfang November trafen sich an der Empa in Dübendorf mehr als 100 Vertreterinnen und Vertreter der Medtech-Industrie und andere Interessenten, um sich einen Überblick über die neusten Entwicklungen im Implantatbereich zu verschaffen. Ziel der Tagung war es, die wesentlichen Akteure aus Industrie und Forschung zum Erfahrungs- und Informationsaustausch zusammen zu bringen, nicht zuletzt auch, um neue Partnerschaften zu etablieren.
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Legende: Ganzkörpermodell des menschlichen Bewegungsapparats mit Muskeln.


Implantat ist nicht gleich Implantat. Je nach Anwendung bleibt es nur «kurze» Zeit im Körper, beispielsweise zur Fixierung eines gebrochenen Knochens, bis dieser wieder zusammengewachsen ist. Oder das Implantat soll über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte seinen Dienst im Körper verrichten, so etwa ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk. Beim temporären Einsatz, bei dem das fremde Material bis maximal zwei Jahre im Körper verbleibt, stehen vor allem biologische Aspekte im Vordergrund. Der Fremdkörper soll sich gut in die Anatomie einpassen und vom Körper für die Einsatzdauer akzeptiert werden. Dazu muss er «biokompatibel» sein, darf beispielsweise nicht korrodieren und soll sich nach erfüllter Funktion auch wieder ohne Komplikationen aus dem Körper entfernen lassen. Oder – noch besser – von selbst auflösen.

 
Materialien müssen für den Körper verträglich sein
Wie der Körper auf einen implantierten «Fremdkörper» reagiert, erforscht die Empa unter anderem im Reagenzglas. Solche «in vitro»-Untersuchungen führt Katharina Maniura von der Abteilung «Materials–Biology Interactions» durch. Mit Hilfe von Zellkulturen beurteilt sie die Eignung von Implantatmaterialien. Diese Risikoabschätzungen sind wichtig, weil Materialien die Zellfunktionen beeinträchtigen können. Statt der für derartige Tests üblichen Zelllinien benutzt Maniura «adulte» Stammzellen, wie sie in vielen Geweben wie Körperfett oder im Knochenmark vorkommen und bei Hüftgelenkoperationen gewonnen werden können. Während Zelllinien häufig von Tumorgewebe stammen und somit einen abnormalen Stoffwechsel aufweisen, «ruhen» Stammzellen im Körper, bis sie beschädigtes Zellmaterial ersetzen müssen. Sie bilden sich erst bei Bedarf zu spezialisierten, gewebetypischen Zellen aus. Doch bis die adulten Stammzellen sich in die für die Tests notwendigen Knochenzellen differenziert haben, sind etliche Präparationsschritte nötig. Danach ermöglichen sie jedoch Aussagen darüber, wie menschliche Zellen auf verschiedene Materialien reagieren; je nachdem eignet sich das getestete Material für Implantate oder nicht.
 
Als «Sensation» bezeichnete Manfred Zinn von der Abteilung «Biopolymere» die Tatsache, dass die US-amerikanische Zulassungsstelle FDA letztes Jahr ein mikrobiell hergestelltes Polymer, ein so genanntes Biopolymer, zertifiziert hat. In den Bioreaktoren der Empa entwickelt auch Zinn solche Biopolymere. Deren grosser Vorteil ist, dass sie bioabbaubar sind und sozusagen «massgeschneidert» hergestellt werden können. An der Empa laufen Projekte, um Biopolymere für den medizinischen Bereich einzusetzen, etwa als temporäre Schicht zwischen Hüftimplantaten und Knochen. Nach der Operation stimuliert die Schicht das Verwachsen des Implantats mit dem Knochen, danach löst sie sich auf. Ein weiteres Projekt sind künstliche Sehnen, die nach einem Sehnenriss «eingebaut» und biologisch degradiert werden, sobald die Sehne durch körpereigenes Material wieder aufgebaut worden ist.
 
Weitere bioabbaubare Implantate stellte Patrik Schmutz von der Abteilung «Korrosion und Werkstoffintegrität» vor: Implantate aus Magnesium, die beispielsweise als Stents zum Offenhalten von vormals verengten Gefässen eingesetzt werden oder auch Stifte und Platten zum Fixieren von Knochen. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie sich in Kontakt mit Körperflüssigkeit mit der Zeit zersetzen. Eine weitere Operation, um das Implantat zu entfernen, entfällt also. Und Magnesium ist nicht nur biokompatibel, der Körper benötigt das Element sogar für zahlreiche Stoffwechselprozesse.
 
Höchste Anforderungen für Langzeitimplantate
Bleibt ein Implantat länger im Körper, sind auch Verformungsverhalten, Alterung oder Abriebbeständigkeit von enormer Bedeutung. Wie Materialien und Implantate biomechanisch getestet werden, zeigte Bernhard Weisse von der Abteilung «Mechanical Systems Engineering». Weisse und seine Kollegen simulieren mit diversen Test-Verfahren statische, stossartige und dynamische Beanspruchungen in physiologischer Umgebung. Diese Belastungen werden heute vermehrt auch am Computer simuliert; Möglichkeiten und Grenzen der eingesetzten Simulationsprogramme wurden im Vortrag vermittelt.
 

 
  Um die Abläufe des menschlichen Bewegungsapparates am Computer simulieren zu können, stellt sich der Forscher schon mal selbst als Objekt zur Verfügung. Im Bild links Bernhard Weisse in einem Spezialanzug mit optischen Signalgebern, rechts eine Computersimulation.
 

 
Um die «Lebenserwartung» von Implantaten zu erhöhen, werden diese häufig beschichtet. «Heute ist alles beschichtet, was länger halten muss, vom Bohrer bis zur Computerharddisk», so Roland Hauert von der Abteilung «Nanoscale Materials Science». Er entwickelte für Anwendungen in der Maschinenindustrie bereits vor einiger Zeit diamantartige Kohlenstoffschichten. Diese verbessern nicht nur die Reibungseigenschaften von Maschinenteilen; da sie weitgehend abriebfest sind, werden sie auch auf Implantaten eingesetzt. Zentral ist allerdings die Haftschicht zwischen Beschichtung und Grundmaterial. Ist sie fehlerhaft, bilden sich Risse in der Beschichtung, Körperflüssigkeit tritt ein, das Grundmaterial korrodiert und das Implantat muss wieder aus dem Körper entfernt werden. Hauert analysiert daher die Grenzflächen verschiedener Beschichtungen, um Prognosen stellen zu können, wie lange eine Grenzschicht hält – und mir ihr das Implantat.
 
Beschichtungen im Nanometerbereich stellte schliesslich Empa-Direktionsmitglied Pierangelo Gröning in Aussicht. Etwa Beschichtungen, die durch Nanoteilchen noch härter gemacht werden und so den Abrieb bei Implantaten minimieren könnten. «An der Empa entwickeln wir solche Beschichtungen, und wir sind daran interessiert, mit Ihnen zusammen Beschichtungen nach Mass zu entwickeln», warb Gröning für gemeinsame Projekte mit der Empa.