Rückblick auf den Wissenschaftsapéro

Die Brücke der Zukunft

08.01.2003 | MARTINA PETER

Seit gut 50 Jahren gibt es in der Brückenbautechnologie keine Neuerungen mehr, stellte Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Menn, Schweizer Brückenbauer von Weltruf, am gut besuchten Wissenschaftsapéro im vergangenen Dezember an der Empa-Akademie fest.

/documents/56164/318676/a592-2003-01-08-b1m+Bruecke+der+Zukunft.jpg/3ac9b84c-9b68-40ed-a396-03fe8970915f?version=1.0&t=1448308778096
Die von Prof. Ch. Menn entworfene Sunnibergbrücke bei Klosters.
 

Der Bauingenieur – 2001 mit dem renommierten Outstanding Structure Award (IABSE) für den Entwurf der Sunnibergbrücke bei Klosters ausgezeichnet – monierte beim Vortrag an der Empa-Akademie, dass in der Brückenbautechnologie bereits seit längerem keine Innovationen mehr stattgefunden hätten, während in Auto- und Flugzeugbau, Physik und Chemie laufend grosse Fortschritte gemacht wurden.

 

Brücken besitzen zwar immer grössere Spannweiten: Die längste Brücke der Welt, die 2000 m Spannweite umfassende Akashi-Brücke in Japan (1998), unterscheidet sich in ihrer Bauweise jedoch kaum von der berühmten, 60 Jahre älteren Golden Gate Bridge in San Francisco. Um in Zukunft spektakuläre bauliche Wahrzeichen, so genannte Signature-Brücken, errichten zu können, braucht es neue Materialien und Technologien, welche die Kreativität der konstruktiven Ingenieurinnen und Ingenieure unterstützen.

 

Technologien und Materialien für grazilere, leichtere Bauwerke sind gefragt

Neben den Signature-Brücken würden auch unsere Standardbrücken, die sich eher an wirtschaftlichen Kriterien als an ästhetischen Werten orientieren, von Fortschritten in materialtechnischer Hinsicht profitieren. Nicht bloss, dass bestimmte Ideen sich heute ingenieurtechnisch gar nicht realisieren lassen – in den gängigen Materialien für Brückenbauten, Beton und Stahl schlummern unangenehme Überraschungen. Wird das Bewehrungsmaterial Stahl zwecks Korrosionsschutz mit einer mehrere Zentimeter dicken Schicht Beton überdeckt, ist es zwar erst einmal vor der Zersetzung geschützt. Durch eindringendes Wasser und chemische Einflüsse (z.B. durch Chloride) beginnt jedoch auch Betonstahl zu korrodieren. Für Christian Menn handelt es sich bei der obsessiven Betonüberdeckung des Bewehrungsstahls deshalb um eine heilige Kuh, die geschlachtet werden sollte. Durch Reduktion der Betonüberdeckung wären beim Brückenbau kleinere Querschnitte realisierbar, die grazilere, leichtere Bauwerke zuliessen. Nicht zuletzt wegen des geringeren Materialverbrauchs würden sie auch finanziell günstiger zu stehen kommen. Allerdings müssten dann andere Massnahmen – wie Abdichtungen und Beschichtungen – ergriffen werden, um den Betonstahl vor korrosiven Einflüssen zu schützen. Christian Menn plädierte deshalb für mehr Forschung und Entwicklung, z.B. für zähere Beschichtungen des Betonstahls und Versiegelung der Betonoberfläche. Er ermunterte auch zu der in Europa unkonventionellen Bauweise der externen Vorspannung.

 

Adaptive Brückenmodelle von der Empa

Für die Lösung von aktuellen Problemen an bestehenden und im Bau befindlichen Brücken setzen sich die IngenieurInnen der Abteilung Ingenieur-Strukturen an der Empa ein. Ihr Leiter, Dr. Masoud Motavalli, präsentierte eine Fülle von Vorschlägen, wie schwierige Aufgaben in Theorie und Praxis gelöst werden könnten. Eine mögliche Zukunft sieht er in intelligenten bzw. adaptiven Brückensystemen. Schlankere Konstruktionen und grössere Spannweiten bewirken eine steigende Anfällligkeit auf Schwingungen. Gerade bei Schrägseilbrücken besteht ein andauernder Kampf gegen unerwünschte durch Wind und Verkehr verursachte Schwingungen. Ein System aus passiven, semi-aktiven oder aktiven «intelligenten» Dämpfern an den Brückenseilen wirkt diesen Brückenschwingungen und somit Ermüdungsschäden entgegen und verleiht auch den BrückenbenutzerInnen ein sichereres Gefühl beim Befahren und Begehen der Brücke. Die Schwingungen lassen sich durch Dämpfer vermindern, da sie «intelligent» auf Anregungen reagieren. Ein geschlossenes Rückkopplungssystem registriert mit Sensoren die auftretenden Kräfte, vergleicht sie mit «Normalschwingungen» und Systemparametern wie Kabelkräften und Systemsteifigkeit und veranlasst schliesslich bei Abweichungen den Einsatz einer mit Strom erzeugten Dämpfungskraft. Um die Dynamik und den Einsatz von passiven, semi-aktiven und aktiven Dämpfungen besser erforschen zu können, soll an der Empa demnächst ein modulares Fussgängerbrücken-System erprobt werden. Dazu wird ein Schrägseilbrücken-Modell im Masstab 1:1 mit 20 m Spannweite gebaut, das auch als einzigartiges Schulungsobjekt verwendet wird.

 

Was ist der Wissenschaftsapéro?

An den regelmässig stattfindenden Wissenschaftsapéros greift die Empa-Akademie fachlich und gesellschaftlich relevante Themen auf. In drei bis vier halbstündigen Vorträgen präsentieren ReferentInnen aus Forschung, Politik und Wirtschaft Ergebnisse und Ansichten zu einem vorgegebenen, aktuellen Inhalt. Anschliessend stehen sie auch den nicht aus dem Fach stammenden Gästen entweder in der Diskussionsrunde oder beim Apéro Rede und Antwort. Der nächste Wissenschaftsapéro findet statt am 10. Februar 2003 zum Thema «Wenn der Rock brennt – wieviel hält die Kleidung aus?»