EU-Projekt mit Empa-Beteiligung schlägt Konkurrenz

3.8 Millionen Euro für das Fenster von morgen

30.08.2012 | MARCO PETER
Das Projekt «Winsmart» hat die EU-Experten überzeugt. Sie bewerteten das von Empa-Forscher Matthias Koebel lancierte Projekt – die Entwicklung «intelligenter» Fenster für Gebäude von morgen – als besten Forschungsantrag seiner Klasse. Die acht Partner aus Forschung und Industrie erhalten mehr als 3.8 Millionen Euro Fördergeld aus dem 7. EU-Rahmenprogramm.
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Vakuumverglasung ermöglicht eine sehr gute Wärmeisolierung. Die Herausforderung besteht darin, die Scheiben so gut abzudichten, dass das Vakuum im Inneren über Jahrzehnte bestehen bleibt. Das Team um Empa-Forscher Matthias Koebel hat eine Methode entwickelt, bei der zwei Glasscheiben mit einer Zinnlegierung versiegelt werden. Das Ultraschallbild eines Laborversuchs (rechts) zeigt, dass die Verbindung mit dem Zinn rundherum ohne Unterbruch gelang. Die Dichtigkeit wurde in Leckmessungen bestätigt. (Foto: Empa)
 
Mitte August unterzeichnete die Empa den Vertrag, der die Zusammenarbeit aller Beteiligten besiegelte. Koebels Team stehen nun rund 670‘000 Franken zur Verfügung. Ein ungewohnt grosser Betrag, freut sich der Empa-Forscher, denn: «Das Rennen um die begehrten Beiträge aus den EU-Fördertöpfen ist in den letzten Jahren immer härter geworden.» Im Winsmart-Projekt, das 21 Konkurrenten ausgestochen hat, werden Technologien entwickelt, die die Isolationsfähigkeit von Fenstern aus handelsüblichem Glas erhöhen und sie durch «schaltbare Gläser» funktional machen.
 
Ein dünnes Fenster, das dicht hält
Herkömmliche doppelverglaste Fenster bestehen aus zwei Scheiben in einem Aluminiumrahmen. Dieser Rahmen umschliesst einen 1.5 bis 2 Zentimeter dicken Hohlraum zwischen den Scheiben, der mit Silikon abgedichtet und mit Gas gefüllt ist. Das Gas verhindert die Wärmeübertragung. Die Winsmart-Forscher entwickeln eine neue Vakuumisolierverglasung, die rund dreimal dünner ist als eine herkömmliche Doppelverglasung – und trotzdem rund zwei- bis dreimal besser isoliert. Das Hochvakuum zwischen den Scheiben unterbindet die Wärmeübertragung fast vollständig. Der Abstand zwischen den beiden Gläsern beträgt dabei lediglich 0.2 bis 0.7 Millimeter und wird von einer Vielzahl winziger, zwischen den Scheiben verteilter Stützen gehalten.
 
Die Aluminiumrahmungen, die heute üblicherweise in der Fensterproduktion verwendet werden, würden dem atmosphärischen Druck jedoch sofort nachgeben und in den vakumierten Zwischenraum gesaugt werden. Zudem würde eine konventionelle Konstruktion den Anforderungen punkto Dichtigkeit nicht genügen. Daher musste ein robusterer Randverbund her. Im inzwischen patentierten Verfahren wird das Doppelglas in eine Vakuumkammer gefahren, in der eine flüssige Zinnlegierung als Rahmen im Randbereich zwischen die beiden Scheiben eingespritzt wird. Doch Zinn verhält sich auf Glas aufgrund unterschiedlicher Oberflächenspannungen wie Wasser auf einer neuen Regenjacke: Es perlt ab. Diesem Problem entgegnen die Forscher, indem sie den Zinnrahmen kurzzeitig einer elektrischen Spannung aussetzen. Dieser Verfahrensschritt ist nötig, damit der Rahmen am Glas haftet und nach dem Aushärten für die geforderten 30 Jahre luftdicht bleibt.
 

 
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  Die Versuchsanlage der Empa, mit der Doppelglas-Muster mit dem neuen Randverbund hergestellt werden. Gut erkennbar ist der zylinderförmige und kupferfarbene Einspritzkopf, der das Flüssiglot zwischen die Scheiben spritzt. (Foto: Empa)
 

 
Jalousien und Rollläden bald überflüssig?
Der zweite Fokus von Winsmart richtet sich auf die Beschichtung von Scheiben; man forscht an schaltbaren Gläsern. Im so genannten Vakuum-Sputtering-Verfahren werden 100 bis 200 Nanometer dünne Schichten auf die Gläser aufgebracht. Dies geschieht ebenfalls in einer Vakuumkammer, in der die Materialien unter extremer Hitze vaporisiert und sozusagen auf die Scheibe «aufgedampft» werden. So wird eine erste, Strom leitende Schicht aufgetragen, auf die die schaltbare Schicht aus beispielsweise Wolframoxid aufgedampft wird. Auf diese schaltbare Ebene wird wiederum eine leitende Schicht aufgetragen. Die funktionale Ebene ist also immer von zwei leitenden Ebenen eingeschlossen. Per Knopfdruck fliesst Strom durch die Schichten, das Wolframoxid reagiert und das Glas verdunkelt sich. Wenn das Fenster der Zukunft die Menge des einfallenden Lichts messen kann, wird es sich selbstständig verdunkeln beziehungsweise aufhellen und den Knopfdruck überflüssig machen. Theoretisch können verschiedene Schichten übereinander aufgetragen werden, die das Glas zusätzlich noch Wasser abweisend oder kratzfest machen. Koebels Team entwickelt dafür nasschemische Verfahren, die das energieaufwändige Vakuum-Sputtering ersetzen sollen.
 

 
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  Schaltbare Verglasung am Fraunhofer Institut IST in Braunschweig, Deutschland. Die linke Ganghälfte der Passerelle ist abgedunkelt, die rechte nicht. Quelle: EControl Glas, Plauen, Deutschland. (Foto: EControl Glas)
 

 
Massenproduktion in fünf bis zehn Jahren
Glaszuschnitt, Auftragen der schaltbaren Schichten, Randverbund unter Hochvakuum – all diese Schritte sollen in Zukunft in der Fliessbandproduktion von Fensterglas aneinandergereiht werden. In Zusammenarbeit mit den Industriepartnern wird im Projekt Winsmart auch die Produktionstechnologie vorangetrieben. Ein Knackpunkt ist zurzeit noch die Robotik, die zum Einspritzen des Flüssigmetallrahmens weiterentwickelt werden muss. Doch auch so: «In fünf bis zehn Jahren werden erste Winsmart-Fenster auf dem Markt sein», ist Koebel überzeugt.
 
 

 

Neben der Empa sind sieben weitere europäische Partner am Projekt «Winsmart» beteiligt:

  • Technologisches Institut Dänemark DTI
  • Fraunhofer-Gesellschaft, ISE & IWM, Freiburg, Deutschland
  • Universität Ljubljana, Slowenien
  • AGC Glass Europe, Belgien
  • PhotoSolar A/S, Dänemark
  • EControl-Glas GmbH & Co. KG, Deutschland
  • Scandia Windows, Dänemark
 

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