KTI-Projekt mit der Industrie

Eine öko-freundliche Fabrik

19.06.2012 | MARTINA PETER
Im KTI-Forschungsprojekt «EcoFactory» entwickeln Empa-Forschende mit Industriepartnern, Ökonomen der ETH Zürich und Informatikern der HTW Berlin eine Software, mit der Unternehmen die besten Prozesse für ihre Fabrikationshallen ermitteln können, um nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische Ziele zu erreichen.
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Beim Kabelhersteller Huber+Suhner läuft’s rund. Jeder Prozess in der Werkhalle sitzt – von der Anlieferung des Kupferdrahts bis zur fertigen Kabelrolle. Das ist auch nötig, denn die Hightech-Kabel aus dem zürcherischen Pfäffikon müssen einiges aushalten und etwa beim Einsatz als Wagenübergangskabel bei Zügen auch im Extremfall noch funktionieren. Dies dank einer einmaligen Sonderbehandlung mit einer Elektronenstrahlvernetzung: Der Kunststoff wird mit Elektronen beschossen und «unschmelzbar» gemacht. Dies verleiht dem Kabel eine Ummantelung, die hoher Hitze widersteht.

 
 

In der Fabrik sorgen ein On-Demand-System, kleine Lagerbestände und hohe Maschinenauslastung für tiefe Kosten. Trotzdem macht sich Peter Schmollinger, Leiter Prozesstechnologie bei Huber+Suhner, laufend Gedanken über einzelne Prozessschritte. Einerseits, weil es seine Aufgabe ist, bestehende Prozesse zu verbessern und neue zu entwickeln, andererseits aber auch, weil der Betrieb Wert darauf legt, Abläufe auf ihre ökologischen Auswirkungen hin zu untersuchen.

 

«Unternehmen kennen ihre Material- und Lohnkosten. Doch welche Kosten generieren die heimlichen Energiefresser?» fragt sich Schmollinger. Konkret will er wissen: Ist es ökologisch sinnvoll, den Kunststoff im Extruder, der die Kupferdrähte mit einem «Mantel» versieht, permanent warm zu halten? Oder wäre es energetisch vernünftiger, die Polymermassen in Produktionspausen abkühlen zu lassen und sie bei Bedarf wieder zu erwärmen? Auch müssten womöglich einzelne Prozessschritte nach ökologischen Gesichtspunkten anders angeordnet werden, überlegt sich der Feinwerktechnik-Ingenieur.

 
 
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In Pfäffikon läuft das Kabel nach dem Extrudieren des Mantels zum Abkühlen durch ein Wasserbad. Ein paar Meter weiter trocknet ein Hochdruckföhn es wieder. Ist das nun energietechnisch zweckmässiger oder liesse sich der Ablauf von Abkühlen und Trocknen Ressourcen schonender einrichten? Gibt es alternative Trocknungsmethoden? Lassen sich diese ökonomisch vertretbar betreiben, wird also mit ihnen in der gleichen Zeit immer noch gleich viel Kabel produziert? Denn Schmollinger ist sich sicher: «Eine grüne Fabrik, mit der sich nichts verdienen lässt, will kein Unternehmen».

 
«EcoFactory» vereint ökonomische und ökologische Perspektive
Als Prozesstechniker hat er ein Gefühl dafür, in welche Richtung es gehen müsste. Durch das gemeinsame Projekt «EcoFactory» mit der Empa und der ETH Zürich hofft er nun aber, ein objektiveres Feedback zu bekommen. Kern des Projekts ist eine Software, die simuliert, wie Prozesse optimal einzurichten und aufeinander abzustimmen sind, um als Unternehmen sowohl ökonomische als auch ökologische Ziele erreichen zu können. Und genau dieses «sowohl – als auch» zwischen Markt und Umwelt ist das Neue an «EcoFactory»; das Programm bildet nicht nur ökonomische Grössen ab wie Auslastung, Timing, Leerlaufzeiten – die gesamte Wirtschaftlichkeit, sondern modelliert, beurteilt und optimiert die Prozesse auch punkto Nachhaltigkeit. Wer die Prozesse in einer Werkhalle ökologisch besser gestalten möchte, wird schnell einmal mit Ökobilanzen, dem Umgang mit Ressourcen, CO2-Emissionen und der Entsorgung von Abfallstoffen konfrontiert – alles äusserst komplexe Themen.
 

 
 

 

Empa-Know-how zu Ökobilanzierungen
Und genau hier kommt die Empa ins Spiel. Die Empa-Forschenden steuern ihr Fachwissen zur Ökobilanzierung sowie die Datenbank «ecoinvent» bei (siehe Kasten). Sie haben langjährige Erfahrung mit der systematischen Analyse der Umweltauswirkungen von Produkten während des gesamten Lebensweges. «Wir haben eigentlich eine ganz ähnliche Betrachtungsweise wie die Ökonomen», sagt Empa-Forscher Rainer Zah, Experte für Ökobilanzen, «wir schauen ebenfalls immer die gesamte Wertschöpfungskette an.»

Viele produzierende Unternehmen hätten erkannt, so Zah, dass sie in das bisher meist ökonomisch getriebene Prozessmanagement die ökologische Perspektive integrieren sollten. Doch wo ansetzen? Wollen sie beispielsweise eine neue, effizientere Maschine anschaffen, müssen sie wissen, ob sie damit sparen können, auch indem sie weniger Energie und Hilfsstoffe verbrauchen und die gesetzlichen Grenzwerte einhalten können.
Hier kann die EcoFactory-Software in Zukunft helfen. Wird das ökonomische Modell direkt mit den Methoden und Daten zur Ökobilanzierung gekoppelt, können Betriebe feststellen, welche Maschinen in einem Produktionsprozess wann wie lange laufen und welche Materialien sie dafür benötigen. Zusätzlich können sie Emissionen simulieren, Ressourcenverbräuche aufdecken und Abfallstoffe erfassen. Denn die ökologische Dimension beschränke sich bei weitem nicht nur auf das Energiesparen, sagt Zah.

Ende 2013, wenn das Projekt abgeschlossen sein wird, soll das Tool so weit entwickelt sein, dass es kommerziell eingesetzt werden kann. Grössere Firmen, die eine eigene Umweltabteilung besitzen, können das Tool selber anwenden, KMUs gehen mit ihren konkreten Fragen besser auf Energieagenturen zu. ETH- und Empa-Mitarbeiter sind jetzt – zur Halbzeit – häufig bei ihren Industriepartnern zu Besuch. «Das sind alles Unternehmen, die im betrieblichen Umweltschutz bereits die Nase vorne haben, die aber noch einen Schritt weitergehen wollen», hält Zah fest. «Das macht die Arbeit ausserordentlich interessant.»

 

 
 
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  An mehreren Orten werden die Kabel während der Herstellung auf Defekte hin geprüft.
 

 

Daten sammeln und auswerten
Als einer der Industriepartner stellt Peter Schmollinger von Huber+Suhner zurzeit «seine» Prozesse für eine systematische Erfassung und Analyse zur Verfügung. Das ETH-Team zeichnete Ende Mai eine komplette Produktionswoche auf, in der etwa 3500 km Hightech-Kabel hergestellt wurden. Sie hielten jeden einzelnen Arbeitsschritt im Sekundentakt fest: während der Extrusion, der Wasserkühlung und der Elektronenstrahlvernetzung. So sammelten sie Kennzahlen zu Energieverbrauch, Emissionen, Wassereinsatz und Materialflüssen.

Sind einmal alle Puzzlestücke zusammengesetzt, können neue Prozesse, in denen die Arbeitsschritte in anderer Reihenfolge erfolgen, simuliert und die beste Wirtschaftlichkeit eruiert werden. Bei Huber+Suhner stehen für die Kabelherstellung über ein Dutzend ähnliche Anlagen, auf die sich die Optimierung übertragen liesse. Und natürlich lassen sich die Erkenntnisse auch auf neuen Produktionsstätten anwenden. Und mögen diese noch so speziell sein – wie im Fall der neuen Elektronenstrahlvernetzungsanlage neben der Werkhalle, wo die Wände des Betonbunkers, in dem die Kabel veredelt werden, dereinst speziell dick sind.

 
 
 
 
Wer entwickelt «EcoFactory»?

«EcoFactory» ist eine Software für Firmen, die ihre Fabrikationsprozesse nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch optimieren wollen. Sie wird derzeit im Rahmen eines von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) unterstützten Projekts entwickelt; Partner im KTI-Projekt sind neben der Empa die ETH Zürich und die Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin sowie die Industriepartner Taracell Schweiz, Huber+Suhner AG, Knecht & Müller AG, Chocolat Frey AG, Effizienzagentur Schweiz AG, der Branchenverband SWISSMEM und das F&E-Konsortium «Sustainable Engineering Network Switzerland» (SEN).

http://www.ecofactory.ethz.ch/


 
ecoinvent 3.0 lanciert

Mitte Juni wurde an der Empa die neue Version 3.0 von ecoinvent vorgestellt. Die ecoinvent-Datenbank ist eine der führenden Quellen für Ökobilanzdaten mit über 5000 Nutzern und Nutzerinnen auf der ganzen Welt. Daten aus ecoinvent werden in Ökobilanzen, Umweltproduktdeklarationen, in CO2-Bilanzen, in der integrierten Produktpolitik, im Life Cycle Management, im Umweltdesign, in der Umweltzertifizierung und anderen Anwendungen benutzt.


Version 3.0 baut auf einer komplett überarbeiteten und aktualisierten Modellierungstechnik auf und stellt ab Ende Juli noch mehr Datensätze zur Verfügung, mit denen sich noch fundiertere Bilanzen erstellen lassen. Neu enthält ecoinvent insgesamt mehr als 9000 Datensätze aus den Bereichen Energie, Materialien, Entsorgung, Transport, landwirtschaftliche Produkte und Prozesse, Elektronik und Metallverarbeitung. Diese Datensätze setzen sich zusammen aus 6000 „transforming“-Datensätzen, die einen Umwandlungsschritt, z.B. vom Rohöl zum Benzin darstellen, und nochmals etwa 3000 Marktdatensätze für die 3000 Produkte, welche in der Datenbank aktuell enthalten sind. Unter www.ecoinvent.org können sich Interessierte kostenlos als Gast registrieren und mit den Grundlagen der Datenbank vertraut machen.


 

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