Holzzersetzende Pilze verbessern akustische Materialeigenschaften von Holz

Mit Pilzen zum perfekten Geigenklang

15.06.2005 | REMIGIUS NIDERÖST
Seit Jahrhunderten sind Geigenbauer auf der Suche nach dem perfekten Klang – neuerdings auch HolzforscherInnen der Empa. In Zusammenarbeit mit dem «Meisteratelier für Geigenbau» in München infizieren sie Holz mit ausgewählten Pilzen mit dem Ziel, die akustischen Eigenschaften des Materials zu verbessern. Erste Erfolge sind bereits zu verbuchen und ein Patent wurde am 15. Juni angemeldet. Zu sehen ist das verpilzte Geigenholz am Tag der offenen Tür, am 18. Juni, in St. Gallen.
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Stradivari-Geigen aus dem achtzehnten Jahrhundert verzaubern Musikkenner weltweit mit ihrem einzigartigen Klang. Zahllose Hypothesen versuchen zu erklären, warum diese Instrumente so einzigartig tönen: Verwendete Stradivari geheimnisvolle Lackrezepturen, Grundierungen oder Mineralstoffe? Eine andere Theorie vermutet, dass die besonderen Klimabedingungen der «goldenen Ära» Stradivaris (1644 bis 1737)  der Grund seien. Während des so genannten Maunder-Minimums, einer aussergewöhnlichen Kälteperiode von 1645 bis 1715, liessen lange Winter und kühle Sommer die Bäume langsam und gleichmässig wachsen. Holz aus dieser Zeit weist deswegen spezielle Materialeigenschaften auf, unter anderem eine herausragende Klangqualität. Die HolzforscherInnen der Empa haben nun gemeinsam mit Martin Schleske, Geigenbaumeister und Physiker in München, erforscht, wie sich mit Hilfe holzzersetzender Pilze ähnliche akustische Materialeigenschaften erzielen lassen. 

Materialwissenschaften für den Instrumentenbau
Die Qualität von Klangholz wird massgeblich durch seine physikalischen Eigenschaften bestimmt. Sehr gut geeignet ist Holz mit geringer Dichte, hoher Schallgeschwindigkeit und hoher Biegesteifigkeit. Denn dadurch verbessern sich die Resonanzeigenschaften des Musikinstruments und die Klangabstrahlung steigt. Hier liegt der grosse Vorteil von Holz gegenüber anderen Materialien wie zum Beispiel Metall. Die Schallgeschwindigkeit liegt für Fichtenholz zwischen 4800 m/s und 6200 m/s und die Dichte schwankt zwischen 320 kg/m3 und 420 kg/m3. Im Vergleich dazu weist Stahl zwar eine ähnlich hohe Schallgeschwindigkeit auf, doch die Dichte von über 7000 kg/m3 ist extrem hoch.
Holz für den Geigenbau muss daher hohe Qualitätskriterien erfüllen. Es muss astfrei und leicht sein und es muss gleichmässige, helle Jahrringe haben. Ausgewählte Bäume aus den Hochlagen der Südalpen erfüllen diese Kriterien. Vor allem aber das Holz aus der Zeit des Maunder-Minimums hat wegen des verlangsamten Baumwachstums eine äussert geringe Dichte und schmale Jahrringe. Exzellente Voraussetzungen für hochwertiges Klangholz.
 

 
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Die Eigenfrequenzen und andere physikalische Eigenschaften der verpilzten Holzproben wurden in den Labors der Empa gründlich analysiert.
 

Verpilztes Holz für Meistergeigen
Das aussergewöhnliche Klima des Maunder-Minimus lässt sich nicht zurückbringen. Die ForscherInnen der Empa haben jedoch einen Alternative entdeckt: holzzersetzende Pilze. Diese knabbern an den Zellwänden und vermindern dadurch die Holzdichte – eine wichtige Voraussetzung für hohe Klangqualität. Die meisten Pilzarten reduzieren allerdings gleichzeitig Schallgeschwindigkeit und Biegesteifigkeit des Materials – ein unerwünschter Nebeneffekt.

 

Das Geheimnis liegt deshalb darin, diejenige Pilzart zu finden, welche zwar die Dichte des befallenen Holzes vermindert, nicht aber die Ausbreitung von Schallwellen behindert oder die feste Holzstruktur zerstört. Mit einem solchen Pilz liesse sich gezielt hochwertiges Holz – ähnlich dem der Stradivari-Geigen – herstellen. Über Monate züchteten die HolzforscherInnen deswegen verschiedene Pilzarten, infizierten damit  kleine, sterilisierte Holzbrettchen und lagerten die pilzbehandelten Proben in Klimakammern unter kontrollierten, feuchtwarmen Bedingungen. Die Pilze wucherten, bizarre Fruchtkörper wuchsen auf der Oberfläche der Proben und Pilzfäden durchdrangen das Holzinnere. Einige Brettchen wurden nach vier Wochen, andere nach acht oder zwölf Wochen aus den Klimakammern geholt, von Pilzresten befreit und gründlich analysiert; die ForscherInnen vermassen Gewichtsverlust, Schallgeschwindigkeit, Biegesteifigkeit, Eigenfrequenzen und andere physikalische Materialeigenschaften in den Labors der Empa.

Geeigneter Pilz gefunden
Die Suche nach dem Meisterpilz war erfolgreich. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen: Mehrere der ausgewählten holzzersetzenden Pilzarten verbessern deutlich die Klangqualität der Holzproben. Vor allem für Ahornholz, das traditionell für die Bodenplatte der Geige verwendet wird, sind die Ergebnisse sehr viel versprechend. Ein Patent wurde bereits angemeldet. Die grosse Herausforderung liegt nun darin, das Verfahren, welches bisher nur auf kleinen Holzbrettchen von 2.5 cm x 10 cm Grösse angewandt wurde, auf grössere Holzplatten auszudehnen. Die erste Geige aus verpilztem Holz wird daher erst in zwei bis drei Jahren zum Spielen bereit sein.  


Autorin
Dr. Bärbel Zierl, Abteilung Kommunikation, Tel. 044 823 49 09,

Kontakt
Dr. Francis Schwarze PD, Abteilung Holz, Tel. 071 274 7247,
Melanie Spycher, Abteilung Holz, Tel. 071 274 76 24,

 
 
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