12. Wissenschaftsapéro an der Empa-Akademie

Dicke Luft - und was wir sonst noch einatmen

04.07.2003 | MARTINA PETER

Wir halten uns über 20 Stunden täglich in Innenräumen auf. Nicht unbedeutend für unser Wohlbefinden ist dabei die Qualität der Innenluft. Die Nase meldet es uns sonst schon bald: Dicke Luft. Was wir sonst noch alles einatmen, und welche Schadstoffe auch in der Aussenluft vorhanden sind, darüber berichteten drei Referenten am Wissenschaftsapéro vom 30. Juni an der Empa-Akademie.

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Die NABEL-Überwachungsstation an der Empa in Dübendorf.
 

Unter dem Titel «Dieses Gebäude macht mich krank» informierte Roger Waeber vom Bundesamt für Gesundheit über verschiedene Quellen, welche die Luft eines Raumes eventuell verunreinigen. Gesundheitsgefährdende Chemikalien können von Baustoffen, imprägnierten Möbeln oder Haushaltsprodukten abgegeben werden. Häufig kommt es z.B. bei Mieterwechseln vor, dass Sanierungen in viel zu kurzer Frist vorgenommen werden müssen. Dann bleibt für das Verflüchtigen giftiger Lösungsmittel zu wenig Zeit. Auch Komponentenkleber zum Basteln setzen Schadstoffe frei und selbst der verkohlte Cervelat aus der Bratpfanne belastet die Innenluft mit Russpartikeln. Und durch Tabakrauch wird die Luft von Innenräumen ebenfalls nicht wenig belastet.

 

Limitierte toxikologische Einzelstoffbewertungen

Bei der Bewertung im konkreten Fall stelle sich, so Waeber, immer die Frage, welchen Schadstoffen die Betroffenen wie stark ausgesetzt seien. Denn je nach Vorkommen und Eigenschaften eines Schadstoffes kann die Belastung nicht nur über die Raumluft erfolgen, sondern auch über weitere Pfade. Dann genügen regelmässige Belüftungsaktionen nicht mehr. Toxikologische Einzelstoffbewertungen reichen ebenfalls nicht mehr aus, wenn über meist unspezifische gesundheitliche Beschwerden geklagt wird. Eine gesamtheitliche Sichtweise auf die schlechte Luft wird dann nötig.

Für diese machte sich auch Hartmut Frank, Professor für Umweltchemie und Ökotoxikologie an der Universität Bayreuth, stark. Denn über Kombinationswirkungen, wie sie beispielsweise bei Arzneimitteln recht gut erforscht sind, ist in der Forschung zur Lufthygiene wenig bekannt, obwohl die Auseinandersetzung mit Fragen zur Luftreinheit schon seit Beginn der Industrialisierung andauert. Gegen die Belastung der Stadtatmosphäre durch Verbrennen fossiler Brennstoffe oder durch freigesetzte Faulgase aus Abfällen, welche die Bewohner der vergangenen Jahrhunderte gesundheitlich stark beeinträchtigte, wurde erfolgreich vorgegangen. Die Luftqualität und damit auch die Lebensqualität in den Städten liess sich in Europa durch Schadstoffmessungen und entsprechende gesetzliche Massnahmen ständig verbessern. Allerdings hat das Monitoring der Luftqualität seine Tücken: Unzuverlässige Daten aus der Überwachung führen zu falschen Aussagen. Giftstoffe, die nur in kleinsten Mengen auftreten, aber sehr wirksam sind, werden möglicherweise übersehen. Risiken werden dann falsch bewertet.

 

Besseres Risikoverständnis durch interdisziplinäre Zusammenarbeit

Frank plädiert deshalb für Interdisziplinarität. Erst wenn viele wissenschaftliche Disziplinen am Thema arbeiten, wird es gelingen, die Risiken der Luftverschmutzung besser zu verstehen und zu bewerten. Neben zuverlässigen Emissionskontrollen sollen ökotoxikologische Untersuchungen vorgenommen, Erkenntnisse über Depositions- und Resorptionswege integriert, Wirkungsexperimente angestellt und Grenzwerte festgelegt werden.

Einige Beiträge, welche die Empa zur Lufthygiene leistet, stellte Martin Kohler von der Abteilung Organische Chemie vor. So überwacht die Empa zusammen mit dem BUWAL die Luftqualität, indem sie das Nationale Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe (NABEL) betreibt. Neben bekannten Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid, dessen Konzentrationen durch technische Massnahmen deutlich reduziert werden konnten, rücken heute immer häufiger persistente organische Schadstoffe ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

 

Persistente organische Schadstoffe (POP)

POP (persistent organic pollutants) werden via Atmosphäre über grosse Distanzen verfrachtet, sind kaum abbaubar und reichern sich in der Nahrungskette an. Sie können das endokrine System des Menschen stören, neurologische und Entwicklungsstörungen verursachen und vermutlich auch zu Krebs führen. Die Empa untersuchte POP, beispielsweise die früher als Weichmacher in Fugendichtungsmassen eingesetzten polychlorierten Biphenyle (PCB). In einer weiteren Untersuchung über die Anreicherung von bromierten Flammschutzmitteln zeigte sie, dass bestimmte Flammschutzmittel (PBDE), die für das Imprägnieren von Schaumstoffen und Textilien verwendet werden, in Fischen aus Schweizer Seen vorhanden sind. Vermutlich werden bromierte Flammschutzmittel hauptsächlich über die Atmosphäre verfrachtet und gelangen so in die Nahrungskette.

Fachliche Auskünfte: Dr. Martin Kohler, Abteilung Organische Chemie, Tel. 01 823 43 34, E-mail: martin.kohler@empa.ch