Neues Tragkonzept dank Tensairity-Bauelementen

Luftige Balken für tonnenschwere Lasten

Jun 3, 2008 | MARTINA PETER
Eine Membrane, eine Hand voll Stangen, zwei Kabel – und Luft: Richtig zusammengebracht, ergibt sich aus dieser ungewöhnlichen Kombination eine Leichtbautragstruktur namens «Tensairity». Das «Center for Synergetic Structures» an der Empa in Dübendorf betreibt Grundlagenforschung und «ersinnt» neue Anwendungen für dieses innovative Tragkonzept.
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So unglaublich es klingen mag: Luft gibt Halt und trägt. Möglich macht dies eine Kombination von Stangen, Kabeln und einem mit Luft gefüllten Zylinder aus beschichteten Polyesterfasern. Die federleichten Luftbalken sind ausserordentlich tragfähig und anpassungsfähig. Sie sind mobil, können schnell und einfach zusammengesetzt werden und erlauben grosse Spannweiten. «So ein einzelner Balken hat in einem Kofferraum Platz. Das haben wir letztes Jahr in der «Grossen Show der Naturwunder» im deutschen Fernsehen ARD live demonstriert», erklärt Physiker Rolf Luchsinger, Leiter des Center for Synergetic Structures». Tensairity-Elemente werden im Bau bereits genutzt, etwa als Träger für eine Parkhausüberdachung mit 28 Meter Spannweite in Montreux und für eine Skifahrer-Brücke mit 52 Meter Spannweite in den französischen Alpen. Der Name der patentierten Technologie – «Tensairity» – ist ein Kunstwort, das sich aus «tension» (Spannung), «air» (Luft) und «integrity» (Vollständigkeit) zusammensetzt. Tensairity ist für die Empa ein noch junges Forschungsgebiet: Im Frühling 2006 wurde das «Center for Synergetic Structures» gegründet, eine öffentlich-private Partnerschaft zwischen der Empa und dem Automations-Pneumatik-Unternehmen Festo AG.

 
Die Sicherheit steht im Vordergrund
Wie überall im Bauwesen hat die Sicherheit auch bei der Verwendung von Tensairity-Tragbalken höchste Priorität. Dazu müssen die Konstruktionen physikalisch bis ins Detail verstanden werden.
 
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  Die Mitarbeiter des «Center for Synergetic Structures» erstellten verschiedene Vorrichtungen, um die nötigen Experimente durchzuführen und sich das nötige Wissen anzueignen.
 
Sie sind nun in der Lage, ganze Tragbalken von mehreren Meter Länge einzuspannen, um das Verhalten von Tensairity-Balken unter verschiedenen Belastungen wie beispielsweise Druck und Biegung zu untersuchen. Daneben dient ihnen eine Hochfrequenz-Schweissmaschine dazu, Membranen zum Beispiel aus Polyesterfasern mit PVC-Beschichtung zu verschweissen. So können sie Tensairity-Bauteile jedweder Form und Grösse in Eigenregie herstellen.
 
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  Um die Membrane auf ihre Eigenschaften unter Belastung hin zu untersuchen, wurde eine in der Schweiz einzigartige biaxiale Zugmaschine angeschafft. Die Greifer dieser Zugmaschine ziehen an vier Seiten – separat angesteuert – mit regulierbarer Kraft am Gewebe.
 

Aus den Messergebnissen ermitteln die Forscher die für das Verhalten von Tensairity-Strukturen wichtigen mechanischen Eigenschaften der Membranen. Die Resultate dieser Experimente fliessen in analytische Modelle ein und schaffen die Grundlage für detaillierte Berechnungsmethoden.

Know-how auf komplexem Gebiet erweitern
In der Komplexität liegt die Herausforderung. Die Forschenden müssen nicht nur die einzelnen Materialien aus dem Effeff verstehen, sie müssen auch wissen, wie Membrane, Stangen und Kabel synergetisch am besten zusammenwirken. Denn erst die Synergien zwischen den verschiedenen Materialien und Strukturen bewirken, dass die Gesamttragkraft grösser ist als die Summe der Tragkräfte der Einzelkomponenten. Daher auch der Name «Center for Synergetic Structures». Synergien nutzen die Wissenschaftler und Ingenieure des Zentrums auch innerhalb der Empa, indem sie – wann immer nötig – auf das Know-how anderer Empa-ForscherInnen zurückgreifen. Zudem dient das Zentrum als Drehscheibe für den Wissens- und Technologietransfer der Empa, indem die «Synergetiker» der Ingenieur- und Baubranche Unterstützung für deren Projekte mit Leichtbaustrukturen anbieten.

Tensairity überwindet Grenzen
Tensairity-Anwendungen beschränken sich nicht allein auf das Bauwesen. Die Technologie lässt sich überall dort einsetzen, wo einfach auf- und abbaubare Tragstrukturen mit geringstem Gewicht gefragt sind. Die Mitarbeiter des «Center for Synergetic Structures» loten deshalb laufend neue Anwendungsgebiete aus. Etwa den Drachenbau. Momentan arbeiten sie in einem Projekt zusammen mit der Technischen Universität Delft (NL) an der Optimierung von Flügelstrukturen für Drachen aus Tensairity-Bauteilen. Die Idee dahinter: Die Drachen sollen zur Energiegewinnung an Seilen mehrere Kilometer in die Höhe steigen. Durch das Hochziehen wird am Boden ein Spulen- und Windensystem in Bewegung gesetzt, das elektrischen Strom generiert.

 

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