Künstliche Gewebe entwickeln

Wegweiser für Zellen

15.08.2018 | ANDREA SIX

Will man Tierversuche in der medizinischen Forschung ersetzen, ist die Zucht komplexer Mikrogewebe aus Zellen gefragt. An der Empa wurde ein Polymergerüst für dreidimensionale Zellkulturen entwickelt. Lichtstrahlen wirken als Wegweiser für die Zellen.

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In der pharmazeutischen Forschung versucht man wo immer möglich, auf Tierversuche zu verzichten beziehungsweise sie durch Experimente in Zell- oder Gewebekulturen zu ersetzen. Hochkomplexe dreidimensionale Strukturen aus Zellen wachsen zu lassen, stellte die Forscher jedoch bis anhin vor Probleme. Forschende der Empa haben nun aber eine Art Gerüst entwickelt, in dem sich Zellen ausbreiten, vermehren und vernetzen können. Besonders innovativ an der neuen Matrix: Die Präzision der gewünschten Gestalt und Funktion wird mittels Licht gesteuert.

Das neue Material besteht aus einem Gel, in dessen Polymerstruktur eine Vielzahl funktioneller Gruppen über einen lichtempfindlichen Mechanismus eingebaut werden kann. «So lassen sich Signale für die einwachsenden Zellen anbringen, die ihnen beispielsweise das Ankern am Gerüst ermöglichen», erklärt Empa-Forscher Markus Rottmar vom «Laboratory for Biointerfaces» in St. Gallen. Andere Gruppen im «Hydrogel» tragen Andockstellen für Enzyme, mit denen die Zellen das künstliche Gerüst nach ihren Bedürfnissen massgeschneidert umbauen können. Ein weiterer Vorteil: Das Hydrogel ist biologisch sehr gut verträglich und bietet den Zellen eine spezifische Umgebung, um zu einer dreidimensionalen Struktur auszuwachsen.

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Nach dem Prinzip der Lithografie schreibt ein Infrarot-Laser präzise Strukturen in die Matrix. Die Zellen wachsen anhand des vorgeschriebenen Plans. So wird das Züchten dreidimensionaler Mikrogewebe um neue Möglichkeiten erweitert. Bilder: Empa

Damit daraus ein funktionstüchtiges Gewebe entstehen kann, ist die Gestalt des Gerüsts bis ins kleinste Detail kontrollierbar. Eine kurzzeitige Bestrahlung mit UV-Licht sorgt zunächst für die Vernetzung des polymeren Hydrogels. Die Feinarbeit aber leistet ein Laser: Nach dem Prinzip der Lithografie schreibt der Infrarot-Laser einen präzisen Bauplan in die Matrix und bindet Bausteine mit verschiedenen Funktionen in das Gerüst ein. «Die Zellen wachsen anhand des vorgeschriebenen Plans und formen einen ersten Verband», sagt Projektleiterin Katharina Maniura. Schon nach Stunden beginnen die Zellen, das Gerüst an diesen spezifischen Positionen aufzulösen und umzugestalten. Dies ermögliche das Züchten komplexer dreidimensionaler Mikrogewebe, sagt Katharina Maniura.

Das Hydrogel eigne sich nicht nur als Grundlage, um Alternativen zu Tierversuchen zu entwickeln. Ebenso gehörten die Erforschung von Krankheiten und ein verbes­sertes Verständnis des Zellwachstums zu den Anwendungsgebieten des neuartigen Materials. 

Informationen

Dr. Katharina Maniura 
Biointerfaces 
Tel. +41 58 765 74 47
katharina.maniura@empa.ch

Dr. Markus Rottmar
Biointerfaces 
Tel. +41 58 765 71 18 
markus.rottmar@empa.ch


Redaktion / Medienkontakt

Literatur

X Qin,  X Wang, M Rottmar,  BJ. Nelson,  K Maniura‐Weber; Hydrogels: Near‐Infrared Light‐Sensitive Polyvinyl Alcohol Hydrogel Photoresist for Spatiotemporal Control of Cell‐Instructive 3D Microenvironments, Adv. Mater. 10/2018); doi: 10.1002/adma.201870070