15. Wissenschaftsapéro

Das Passivhaus punktet aktiv für die Umwelt

10-dic-2003 | REMIGIUS NIDERÖST
Am 15. Wissenschaftsapéro der Empa-Akademie diskutierten Fachleute und Interessierte zum Thema "Weniger Heizenergie - mehr Behaglichkeit".
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Passivhaus mit neuentwickeltem Schiebeladen mit Photovoltaik
 

Der Begriff MINERGIE© steht für energieeffizientes Bauen mit hohem Komfort. Mit den Standards «Passivhaus» sowie «MINERGIE©-P» sind Anforderungen definiert, die ein Gebäude haben muss, wenn es als noch moderner, effizienter und zugleich «umweltgerechter» gelten soll. Konkret handelt es sich dabei um Vorgaben, die den thermischen Komfort, die Komfortlüftung, den Wärmeschutz, die reduzierte Umweltbelastung durch niedrigen Energieverbrauch sowie die Qualitätssicherung betreffen. Am Wissenschaftapéro brachten drei Referenten Beispiele aus ihrer Berufspraxis.

 

 
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Sanierung einer Liegenschaft und Wohnraumerweiterung, vor der Sanierung
 

Als erster Referent sprach Hans Bertschinger von der Empa über so genannte Pilot- und Demonstrationsprojekte. Pilotprojekte sind solche, bei denen technische Entwicklungen, die noch weit von der Marktreife entfernt sind, erprobt werden. Bei den Demonstrationsprojekten werden marktreife Innovationen am Markt eingeführt und demonstriert. Beide Arten werden, falls sie gewisse Anforderungen erfüllen, vom Bund finanziell unterstützt. Ein Projekt muss dazu innovativ sein, ein gewisses Risiko aufweisen und Mehrkosten bedingen, die nicht amortisierbar sind. Es sollte einen Multiplikationseffekt haben und möglichst gute Chancen, Nachahmerprojekte auszulösen. Der  Erfolg soll mittels Messungen nachweisbar sein und mit Veröffentlichungen in Fachzeitungen, Vorträgen, Medienanlässen und Führungen am Objekt publik gemacht werden. Die Innovation kann z.B. darin liegen, dass eine Brennstoffzelle eingebaut wird, neue Wege bei der Wärmeversorgung erprobt oder Technologien kostengünstiger realisiert werden.

 
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Sanierung einer Liegenschaft mit Wohnraumerweiterung, nach der Sanierung
  Bertschinger, der in den letzen zwölf Jahren etwas mehr als 100 solcher Projekte begleitet hat, stellte den 130 anwesenden Personen die Entwicklung bei Pilot- und Demonstrationsprojekten vor. Während anfangs nur einzelne Technologien realisiert und untersucht wurden, kamen ab Mitte der 90er Jahre Sanierungen im grossen Stil hinzu, z.B. ein Mehrfamilienhaus in Therwil. Dieses kam danach mit nur rund einem Viertel der bisher gebrauchten Energie aus. Die 2000-Watt-Gesellschaft ist für Bertschinger am ehesten bei den Gebäuden realisierbar. Für die Zukunft sieht er die Sanierung ganzer Quartiere und den Bau von Passivhäusern ohne Mehrkosten.
 
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Neuentwickelte Schiebeelemente mit Photovoltaikelementen (geöffnet), Aussenansicht
  Passivhaus mit Photovoltaik
Reto Miloni, Architekt und Lichtplaner aus Mülligen, stellte ein Passivhausprojekt mit Atelier vor, das er in der Region Basel realisiert hat. Für den auch als grünen Politiker aktiven Architekten dürfen Ökologie und Ökonomie, aber auch Energie und Komfort keine Widersprüche sein. Ausserdem solle man die Hoffnung aufgeben, dass ein Liter Heizöl noch lange nur etwa halb so viel kosten werde als ein Liter Mineralwasser. Die Beschlüsse von Kyoto verlangten auch beim Bauen ein Umdenken in Richtung Ressourcenökologie.
 
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Der geschlossene Schiebeladen erzeugt im Inneren reizvolle Effekte.
  Daher wählte er beim vorgestellten Objekt die Holzrahmenbauweise. Damit sollte vor allem auch der immer knapper werdende Kies gespart werden. Die Bauherrin wollte als Kunstmalerin im Atelier hauptsächlich Tageslicht zur Verfügung haben. Dies und die Anforderungen des Passivhausstandards bedeuteten für Miloni eine grosse Herausforderung, die er mit Öffnungen im Dach zur Nutzung des Zenitlichts bewältigte. Für die Verkleidung der Fassade wählte er Aluminium. Im Gegensatz zu Holz wird dieses später nicht zum Sondermüll, sondern lässt sich wieder rezyklieren. Besonderes Augenmerk galt ausserdem der wärmebrückenfreien Konstruktion und der Luftdichtigkeit der Gebäudehülle. Der Strombedarf wird beim vorgestellten Gebäude durch Solarkollektoren gedeckt, die als modulierbarer Sonnenschutz an der Südfassade ausgestaltet wurden. Geheizt wird bei diesem Passivhaus lediglich von November bis Februar.
 
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Dachstuhlerneuerung an einem Tag, dank Elementbauweise an der Zwinglistrasse 9 in Zürich.
 

Passivhaus und Sanierung
Um das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen, muss vor allem der Energieverbrauch der bestehenden Gebäude massiv reduziert werden. Dass sich Altbauten nur bedingt zu Passivhäusern umbauen lassen, zeigte der dritte Referent, Karl Viridén. Der Architekt aus Zürich hat mit seinem Büro im Kreis 4 insgesamt vier Altbauten – alle mit Baujahr um 1900 – saniert. Das Ziel, die für Passivhäuser geltenden Anforderungen zu erreichen, konnte dabei annähernd erreicht werden.

 

Als Knacknuss erweist sich das geforderte Mass für die Luftdichtigkeit bei so alten Gebäudehüllen. Um dieses Mass zu erreichen, müsste der Eingriff in die Gebäudestruktur sehr viel weiter gehen, was aber aus ökologischen und ökonomischen Gründen unsinnig ist. Erfahrungen mit weiteren Umbauten sollen zeigen, ob der MINERGIE-P und Passivhausstandard für Sanierungen angepasst werden muss.

Rémy Nideröst

Was ist der Wissenschaftsapéro?
An den regelmässig stattfindenden Wissenschaftapéros greift die Empa-Akademie fachlich und gesellschaftlich relevante Fragestellungen auf. Jeweils drei bis vier ReferentInnen aus Forschung, Politik und Wirtschaft präsentieren in ihren Vorträgen Ergebnisse und Absichten zu dem behandelten Thema. Anschliessend stehen sie auch den nicht mit dem Fach vertrauten Gästen entweder in der Diskussionsrunde oder beim Apéro Rede und Antwort.
Der nächste Wissenschaftsapéro findet statt am 23. Februar 2004 zum Thema «Mein Auto denkt mit – Pervasive Computing im Alltag». Ort: Empa, Dübendorf, Zeit: 16.30. Es ist keine Anmeldung erforderlich.