Stromengpässe im Winter

Wenn elektrische Uhren nachgehen

Mar 6, 2018 | ANDREA SIX

Mit kalten Fingern hat der Winter an Europas Uhren gedreht. Auch in der Schweiz zeigen Geräte, die ihre Zeitsignale vom Stromnetz erhalten, derzeit nicht die korrekte Zeit an. Etwa um sechs Minuten gehen Backofenuhr und Co. nach. Grund könnte ein Engpass im europäischen Stromnetz sein.

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Im Winter importieren wir mehr Strom als im Sommer. Können intelligente Stromnetze dem Bedarf künftig standhalten? Foto: Nikamata/iStock

Dass derzeit manche Uhren um mehrere Minuten nachgehen, liegt daran, dass der Strom die Haushalte mit einer niedrigeren Frequenz erreicht, lesen wir seit Tagen in den Medien – und an der eigenen Backofenuhr. Denn Uhren, die sich nach dem Takt des Wechselstroms von 50 Hertz richten, zeigen daher nicht die korrekte Zeit an, sobald die Frequenz schwankt. «Wenn frequenzabhängige Geräte langsamer laufen, könnte es sein, dass das Stromnetz überlastet ist, wenn ein momentaner hoher Strombedarf ausgeliefert werden muss», sagt Urs Elber, Leiter des Forschungsschwerpunkts Energie an der Empa. Eine andere Variante sei, dass bei normalem Bedarf zu wenig Strom von Anbietern eingespeist werde. Zwar sei der Bedarf der Schweiz im Winter stets höher als die Eigenproduktion und Strom werde traditionell im Winter importiert – derartige Situationen könnten künftig aber zunehmen, meint Elber.

Grund dafür sind beispielsweise Schwankungen der Stromproduktion. Denn Strom wird heute selten dort hergestellt, wo er gerade gebraucht wird. «Wenn man mitten in der Nordsee mit Windrädern Strom erzeugt, sitzt der Verbraucher leider ganz woanders», erklärt Elber.

Kommt also unser historisch gewachsenes Stromnetz mit den derzeit anfallenden Strommengen und flexiblen Transportwünschen der Erzeuger und Kunden immer weniger zurecht? Edoardo Mazza, Leiter der Empa-Abteilung «Mechanical Integrity of Energy Systems» und Professor für Mechanik an der ETH Zürich erarbeitet derzeit mit seinem Team die Grundlagen, damit das bestehende Stromnetz bei Bedarf besser zu Höchstleistungen gepeitscht werden könnte, ohne dass Hochspannungsleitungen leiden und gleichzeitig keine Engpässe entstehen. «Für die Zuverlässigkeit und Langlebigkeit von Hochspannungsleitungen ist entscheidend, wie viel Strom man durch die Leitungen jagt, da sie sich erwärmen und das Material sich dadurch langfristig verformt und altert», so der Forscher. Mazzas Analysen sollen es ermöglichen, die Kapazität der Leitungen effizienter auszureizen. So könnte beispielsweise solide vorhergesagt werden, um wie viel früher die nächsten Wartungsmassnahmen einer Leitung anstehen, wenn man bei höherem Strombedarf bei einer Kältewelle kurzfristig mehr Strom durch die Kabel schicken muss. Diese Studien sind relevant für die Entwicklung intelligenter Stromnetze.

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Mit dem «Power-to-Gas»-Konzept, hier im Mobilitätsdemonstrator «move» auf dem Empa-Campus in Dübendorf, lassen sich saisonale Stromschwankungen durch Gasproduktion ausgleichen.

Neben dem Transport trägt auch die ungenügende Speicherung von Strom zum Problem bei. Denn Strom, der etwa an Sonnentagen in Europa durch Solartechnologie produziert wird, lässt sich derzeit noch nicht effizient genug speichern. Energie-Experte Urs Elber sieht Chancen in der Stärkung saisonaler Speichertechnologien wie Stauseen und Erdwärmespeichern. Zusätzlich forschen Wissenschaftler an der Empa jedoch auch an Batterietechnologien, die Strom mit so verschiedenen Rohstoffen wie Meersalz, Altmetallen oder Kristallen speichern. Und schliesslich zeigt das «Power-to-Gas»-Konzept, wie sich saisonale Stromschwankungen durch Gasproduktion ausgleichen lassen. „So kann man bei Energieknappheit im Winter mit Gas heizen, das im Sommer zuvor hergestellt wurde“, sagt Elber.