Chirale Prozesse an Oberflächen

Moleküle zappeln sich ins eigene Spiegelbild

14.05.2009 | MARTINA PETER

Katalysatoren funktionieren, selbst wenn noch nicht sämtliche chemische (Teil-)Reaktionen bekannt sind, die etwa beim Reinigen von Autoabgasen ablaufen. Verstünden Forscher diese besser, liessen sich nicht nur Abgaskatalysatoren optimieren, sondern auch andere Prozesse, die sich an Oberflächen abspielen, beispielsweise wie sich Moleküle rechts- oder linkshändig – als Bild oder Spiegelbild – auf einer Oberfläche anordnen.

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Dieses Wissen eröffnet nicht zuletzt der Pharmakologie beim Herstellen von Medikamenten neue Handlungsfelder.

Legende: Das Inside Cover von «Angewandte Chemie» in der Ausgabe vom 18. Mai 2009. Es zeigt zwei Moleküle, die sich wie manche Schneckenhäuser spiegelbildlich zueinander verhalten.

«Wir kitzeln Moleküle», beschreibt Karl-Heinz Ernst von der Abteilung «Nanoscale Materials Science» die Experimente, mit denen er und seine Kollegen chemische Reaktionen untersuchen, die auf Oberflächen stattfinden. Im Rastertunnelmikroskop (RTM) versetzen sie einzelne Moleküle mit einem Elektronenstrahl hochpräzise in Schwingung. Denn ein RTM ist nicht nur Mikroskop, um kleinste Teilchen zu beobachten; es ist gleichzeitig auch ein äusserst empfindliches Werkzeug, mit dem sich einzelne Atome und Moleküle manipulieren lassen.

In den Experimenten der Empa-Forscher begannen die angeregten Moleküle zu hüpfen und zu zappeln, bewegten sich von der Stelle, drehten sich um ihre Achse, konnten aber auch blitzschnell «invertieren», das heisst in die gegensätzliche Spiegelbildform wechseln. Mit dem Verändern der elektrischen Spannung und und des Tunnelstroms konnten die Wissenschaftler nachvollziehen, welche Teile der Moleküle angeregt wurden und wie sie darauf reagierten.

Paare, die sich nicht zur Deckung bringen lassen

Ernst und seine Kollegen interessierte dabei ganz speziell, wie es sich mit der Spiegelbildlichkeit oder Chiralität verhält: In der Natur kommen derartige «Paare», die gleich aussehen und doch verschieden sind, und auch mit Drehen und Wenden nicht zur Deckung gebracht werden können, häufig vor. Paradebeispiele für Chiralität sind Schneckenhäuser und Mineralien, und – eben auch – Moleküle. Viele Moleküle des Lebens sind chiral, zum Beispiel DNA, Proteine und deren Bausteine, die Aminosäuren, und Zuckermoleküle.

Diese kommen fast ausschliesslich in der einen Spiegelbildform vor. Warum dem so ist, bleibt ein Rätsel mit grosser Tragweite: Denn die zwei Spiegelbildformen eines Moleküls können – trotz identischer physikalischer und chemischer Eigenschaften – biologisch völlig unterschiedlich wirken. So riecht beispielsweise der Duftstoff Carvon – abhängig von seiner linken oder rechten «Händigkeit» – entweder nach Minze oder nach Kümmel. Weniger harmlos wirkte sich in den 60er-Jahren die Händigkeit des Wirkstoffs Thalimdomid im Schlafmittel Contergan aus: Seine rechtshändige Form brachte den ersehnten Schlaf, das linksdrehende Thalimdomid führte bei Schwangeren zu schweren Missbildungen der Ungeborenen.

Wenn sich die Experimente nun auch noch besser modellieren liessen, und falls verstanden würde, warum Moleküle in ihre Spiegelform springen, erschlössen sich daraus nicht nur der Pharmakologie neue Syntheseverfahren.

 
 


 

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Literaturhinweis:

Manfred Parschau, Daniele Passerone, Karl-Heinz Rieder, Hans J. Hug, Karl-Heinz Ernst, Switching the Chirality of Single Adsorbate Complexes. Angew. Chem. Int. Ed. 48 (2009) 4065-4068 (Internationale Ausgabe)

Manfred Parschau, Daniele Passerone, Karl-Heinz Rieder, Hans J. Hug, Karl-Heinz Ernst, Umwandlung der absoluten Konfiguration einzelner Adsorbatkomplexe. Angew. Chem. 122 (2009) 4125-4129 (Deutsche Ausgabe)

Die Arbeit wurde von Nature Nanotechnology (online, 20. Feb. 2009) als «Research Highlight» ausgewählt.