Naturwissenschaftler und Philosoph

«Wir müssen erzählen, was auf uns zukommt»

01.07.2017 | PATRICK WÄGER
Im Mai 2016 hat Patrick Wäger die Leitung der Empa-Abteilung «Technologie & Gesellschaft» übernommen. Die Schliessung von Stoffkreisläufen, die Ökobilanzierung und die Technologiefolgenabschätzung sind nur einige der Themen, die neu in sein Hoheitsgebiet fallen.
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Patrick Wäger / Bild: Empa

Den grössten Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte Patrick Wäger als Auslandschweizer in Mailand, Paris, Strassburg und Königstein im Taunus (Deutschland). Die vielen, manchmal kurzfristigen Wohnortwechsel waren mit Abschieden und Neuanfängen verbunden. Wäger lernte früh, sich in wechselnden Umgebungen zurechtzufinden, seine eigene Sichtweise zu entwickeln und nicht alles als gegeben hinzunehmen. Und Sprachen lerne man ja auch am besten als Kind und dort, wo sie gesprochen werden. Das Nomadische seiner Kindheit zeigt sich bei ihm heute noch. Er geniesst es, sich immer wieder im Dazwischen aufzuhalten, um schliesslich ganz woanders aufzutauchen. Mal liest er ein Buch, mal ist er wirklich auf Reisen.

Nach Abschluss des Gymnasiums kehrte er in die Schweiz zurück, studierte Chemie an der ETH Zürich und promovierte am Institut für Toxikologie der ETH und Universität Zürich zum Thema Wohngifte. Ein Job als Umweltberater bei der Ingenieurunter-nehmung Elektrowatt im Zürcher Seefeld folgte. An die Empa kam er 1993 für ein Forschungsprojekt zur Entsorgung von Filterstäuben aus der Kehrichtverbrennung.

Einige Jahre später zog es ihn zurück an die Universität: für ein Studium der Philosophie und Soziologie. Für Wissenschaftler, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, sei wichtig, dass sie eine gewisse Sensibilität für Fragestellungen und Konzepte aus den jeweils anderen Wissenschaftsbereichen entwickeln, sagt Wäger. Technik sei schliesslich nicht ohne den Menschen, der sie entwickle und für bestimmte Zwecke nutze, zu denken, und umgekehrt.
Das Ziel «seiner» Abteilung formuliert Wäger so: Wissen für die Transition zu einer nachhaltigeren Gesellschaft schaffen und weitergeben. Der Fokus liege dabei auf der Analyse von Stoff-und Energieflüssen, die mit der Herstellung, Nutzung und Entsorgung neuer Materialien und technologischer Anwendungen einhergehen, sowie deren Beurteilung bezüglich natürlicher (ökologischer) und gesellschaftlicher (ethischer) Rahmenbedingungen.

Seltene Metalle – Plastik im Überfluss

Eine der Stoffkategorien, mit der sich die Abteilung beschäftigt, sind seltene Metalle, die für zahlreiche technologische Anwendungen essentiell sind – etwa bei Informations- und Kommunikationstechnologien oder der Energiewandlung und -speicherung. Viele seltene Metalle, etwa Indium, Platinmetalle oder Seltenerdelemente wie Neodym und Dysprosium, gelten als «versorgungskritisch». Im Hinblick auf ihre Rückgewinnung aus der «urbanen Mine» untersucht die Abteilung deshalb beispielsweise, wie diese Stoffe in der vom Menschen geschaffenen Welt, der Anthroposphäre, verteilt sind.

Eine andere wichtige Materialkategorie im Fokus der Abteilung ist Mikroplastik, also Kunststoff-Teilchen mit einem Durchmesser unter fünf Millimetern, die eine potentielle Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen. Deren Verhalten in der Umwelt wird in der Forschungsgruppe von Bernd Nowack, einem der wenigen «Distiguished Senior Researcher» der Empa, untersucht.

«Mein Fokus liegt darauf, Wissen zu schaffen, das für die Gestaltung der Gesellschaft von Nutzen sein kann», so formuliert Patrick Wäger das Ziel seiner Arbeit. Vor allem in seinem Fachgebiet – der Nachhaltigkeit – ist eine solche «Transition» von grosser Bedeutung. Das Wissen aus seiner Forschung soll dabei helfen, die Gesellschaft zu gestalten und zu verändern. Doch dazu genügen Daten alleine nicht, es müssen auch die Verhaltensmuster der Gesellschaft miteinbezogen werden. «Wir versuchen das Verhalten der Menschen an die Daten der klassischen Ökobilanz anzuknüpfen», erklärt Wäger. «Wir können der Gesellschaft nicht sagen, was sie zu tun hat, dazu braucht es den politischen Prozess. Aber wir können diesen Prozess unterstützen, indem wir die tatsächlichen oder möglichen Konsequenzen unseres Tuns, das untrennbar mit dem Einsatz neuer Materialien und Technologien verwoben ist, aus wissenschaftlicher Sicht aufzeigen.» Aufgabe von Umweltforschern sei es, mögliche zukünftige Entwicklungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft zu zeigen und zu erzählen, so Wäger.

Das in der Abteilung erarbeitete Wissen und die langjährige Erfahrung zum Beispiel im Bereich der Entsorgung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten fliessen deshalb in beste­hende oder neue Normen und Ver­ordnungen ein. Als Beispiele nennt Wäger die laufende Revision der Verordnung über die Rückgabe, die Rücknahme und die Entsorgung elektrischer und elektronischer Geräte (VREG) und die Norm Cenelec zur Sammlung, Logistik und Behandlung von Altgeräten.

Fundamentalismus ist keine Lösung

Für Wäger ist das Thema auch persönlich ein Anliegen, allerdings so, wie er es auch in seiner Forschung erarbeitet: umsetzbar und in einem zumutbaren Rahmen. So nutzt er wenn immer möglich den öffentlichen Verkehr, geht aber dennoch mit den Kindern auch mal mit dem Flugzeug in die Ferien.

«Ein Fundamentalist zu werden, ist auch nicht die Lösung», erklärt er. «Aber es ist notwendig und ein guter Anfang, den Dingen und der Umwelt Sorge zu tragen.

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