Materialien für das Bauwesen

Eine formbewusste Legierung

16.12.2014 | MARTINA PETER
Eine verbogene Brille wieder in ihre Form zurückzubiegen, ist gar nicht so einfach. Wer allerdings ein Brillengestell aus einer Formgedächtnislegierung besitzt, ist das Problem los: Die Brille einfach in heisses Wasser legen und schon findet sie zu alter Form zurück. Empa-Forscher zeigen, dass diese Materialien auch für Anwendungen im Bauwesen genutzt werden können.
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Legende: Schmieden eines eisenbasierten Gussblockes einer Formgedächtnislegierung (SMA): Um den Block verformen zu können, wird er auf etwa 1150 Grad Celsius erhitzt (Bild: Institut für Metallformung, TU Bergakademie Freiberg).
 

 

Empa-Innovationspreis 2014 am ETIF verliehen
Der Empa-Innovationspreis wurde im Herbst 2014 im Rahmen des «Empa Technology & Innovation Forum» (ETIF) verliehen. Der Preis ging an das Team aus den beiden Abteilungen «Structural Engineering» und «Joining Technologies and Corrosion» mit dem Projekt «Shape memory steel as a new prestressing material for the building industry». Es ist eine erfolgreiche und beispielhafte Zusammenarbeit zwischen Material- und Ingenieurwissenschaften, wie der stellvertretende Direktor der Empa, Peter Richner, betont. Das Projekt setzt Formgedächtnislegierungen zur Vorspannung grosser Betontragwerke ein, was bislang ein viel zu teures Unterfangen war. Die neu entwickelte, auf Eisen basierende Formgedächtnislegierung hat das grundlegend verändert und erfüllt bezüglich Phasenumwandlungstemperatur und Korrosionsverhalten alle Anforderungen, um in Betonstrukturen eingesetzt werden zu können.

 

 
Formgedächtnislegierungen (engl. shape memory alloy, SMA) nehmen selbst nach starker Verformung automatisch oder durch Wärmeeinwirkung wieder ihre ursprüngliche Gestalt an. Das macht sie zu einem interessanten Werkstoff, der heute ausser für Brillengestelle bereits für Thermostate, Stents und Mikroaktuatoren verwendet wird. Auch im Bauwesen sind Anwendungen denkbar, für die Verstärkung von Brücken etwa.
 
Wird ein Betonträger mit SMA-Stäben bewehrt, lassen sich diese durch Hitze «aktivieren»: Sie wollen sich in ihre ursprüngliche Form zusammenziehen. Da sie aber einbetoniert sind, geht das nicht, es entsteht eine Vorspannung. Der Effekt liesse sich somit nutzen, um zum Beispiel ganze Brückendecks vorzuspannen. Die SMA-Stäbe müssen lediglich mittels Durchleiten von Strom erhitzt werden, damit sie sich vorspannen. Eine aufwändige Spannvorrichtung und Hüllrohre entfallen.
 
Für den Bau wenig attraktiv sind Nickel-Titan-Legierungen, aus denen Brillengestelle oder Stents gefertigt werden. Interessant sind vielmehr Produkte auf Eisenbasis, da diese nicht nur viel günstiger sind, sondern auch deutlich geringere Prozesskosten aufweisen. Bislang mussten sie zur Aktivierung des Formgedächtniseffekts allerdings auf bis zu 400ºC erhitzt werden. Das ist für den Einsatz in Beton und Mörtel oder anderen temperaturempfindlichen Materialien zu hoch. Empa-Forschern um Christian Leinenbach aus der Abteilung „Fügetechnologie und Korrosion“ ist es nun gelungen, eine neuartige Eisen-Mangan-Silizium-Legierung zu entwickeln: Sie lässt sich bereits bei für Beton erträglichen Temperaturen um die 160 ºC aktivieren. Dazu «designten» die Materialwissenschaftler mittels thermodynamischer Simulationen virtuelle Legierungen. Die aussichtsreichsten Kombinationen wurden daraufhin im Labor hergestellt und auf ihre Formgedächtniseigenschaften hin untersucht. Mit Erfolg: Gleich mehrere dieser neuen Materialien genügten den Anforderungen der Bauingenieurkollegen – ein Meilenstein auf dem Weg zum günstigen Formgedächtnisstahl für Anwendungen im Industrie- sprich Tonnenmassstab.
 

 
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  Betonbalken, der mit zwei in Schlitzen eingelegten Fe-SMA-Lamellen verstärkt wurde: Die Lamellen wurden mittels Durchleiten von elektrischem Strom erhitzt und dadurch vorgespannt (sichtbar sind lediglich Kupferklemmen und Stromkabel).
 

 
Der lange Weg vom Labor zum fertigen Produkt
Christoph Czaderski von der Empa-Abteilung „Ingenieur-Strukturen“ sieht für eisenbasierte SMA im Bauwesen gute Chancen, weil das Vorspannen einfacher und deshalb günstiger ist als bei konventionellen Spannsystemen. Zudem sind sogar vorgespannte Systeme denkbar, die mit konventionellen Methoden nicht oder nur sehr schwierig machbar sind, wie Kurzfaserbeton, Stützenumwicklungen, Einschlitzlamellen oder gerippte Bewehrungsstähle. Eine von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) finanzierte Machbarkeitsstudie zeigte vor Kurzem, dass die neuen Legierungen nicht nur im Labormassstab von wenigen Kilogramm, sondern sogar im Industriemassstab hergestellt werden können. Der Herstellungsprozess wurde mit der österreichischen Universität Leoben, der deutschen TU Bergakademie Freiberg und der deutschen Firma G. Rau GmbH entwickelt.
 
Die Umformung von rund 100 kg schweren Gussblöcken zu etwa zwei Millimeter dünnen Lamellen oder zu gerippten Bewehrungsstäben bei Temperaturen von mehr als 1000 ºC benötigt ein enormes Fachwissen – und die entsprechende Ausrüstung. Auch mussten die Umformungsprozesse auf die neuartigen Legierungen angepasst werden.
 
  Die so hergestellten Lamellen bewährten sich in den nachfolgenden Tests, bei denen sie in Schlitze in der Betonoberfläche von Stahlbetonträgern einbetoniert wurden.
 
Aufbauend auf den Empa-Entwicklungen wurde 2012 das Start-up-Unternehmen re-Fer AG gegründet, das künftig eisenbasierte SMA für das Bauwesen produzieren und vertreiben wird. Die Kosten sollen dabei in der Grössenordnung von rostfreiem Edelstahl liegen.
 
 

Quellen: Bilder Nr. 1, 2 und 3 v.l.n.r: Institut für Metallformung, TU Bergakademie Freiberg, Bild Nr. 4: Firma G.RAU GmbH & Co. KG, Pforzheim, D

Sie können weitere Bilder hier anschauen und downloaden: https://flic.kr/s/aHsjYpj3FA

 
 
 

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