Eawag-Empa-Studie über pestizidhaltige Gebäudeanstriche

Gebäudefassaden als Quelle für Gewässerverschmutzung

26.08.2008 | REMIGIUS NIDERÖST
Wurden in Bächen und Flüssen Pestizide gefunden, galt lange die Landwirtschaft als Sündenbock. Jetzt zeigen gemeinsame Untersuchungen der Eawag und der Empa, dass solche Stoffe zu einem beträchtlichen Anteil auch aus dem Siedlungsgebiet stammen, wo sie unter anderem aus Fassadenfarben und Verputzen ausgewaschen werden und mit dem Regenwasser in die Umwelt gelangen. Dort können sie toxisch auf Organismen wirken. In Zusammenarbeit mit Herstellern, kantonalen Fachstellen und weiteren Partnern haben die Forscher die Prozesse der Fassadenauswaschung untersucht und diskutieren nun Lösungen für das Problem.
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Legende: Probenahme im Regenwasserkanal einer neuen Überbauung in Volketswil/ZH.

Routinemässig untersucht das zürcherische Amt für Wasser, Energie und Luft (Awel) Gewässer auf Pestizide. Regelmässig werden in einzelnen Fliessgewässern zu hohe Pestizidkonzentrationen gefunden. Neue Messungen am Furtbach bei Würenlos und an der Glatt haben 26 Wirkstoffe nachgewiesen. Bei 22 Verbindungen wurde die Qualitätsanforderung der eidgenössischen Gewässerschutzverordnung von maximal 0.1 μg pro Liter überschritten, teils um ein Mehrfaches. Nicht alle dieser Stoffe können aus der Landwirtschaft stammen. Denn einzelne Substanzen sind für landwirtschaftliche Anwendungen verboten oder aber die Konzentrationen zeigen nicht den erwarteten saisonalen Verlauf. Sie müssen also anderswo herkommen. Dieser Befund wird durch Studien des Wasserforschungsinstituts Eawag im Ausfluss von Abwasserreinigungsanlagen und im abfliessenden Regenwasser im Einzugsgebiet des Greifensees bestätigt. Sie zeigen klar, dass nicht-landwirtschaftliche Quellen via Siedlungsentwässerung massgeblich zur Gewässerbelastung beitragen.

 
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An diesem Modellhaus messen Forscher von Eawag und Empa, wie Regen Biozide auswäscht, welche zum Schutz vor Pilzen und Algen in Fassadenfarben und Putzen enthalten sind.
 

Bis zu 300 Tonnen Biozide jährlich
Für mehrere Substanzen hat die Eawag nun im Rahmen des Forschungsprojekts «Urbic» zusammen mit Materialforschern der Empa im Labor und unter realen Bedingungen nachgewiesen, dass sie aus Gebäudefassaden ausgewaschen werden. Dort sind sie zum Schutz vor Algen- und Pilzbefall heute standardmässig in kunststoffgebundene Farben und Putze für Aussenwärmedämmungen enthalten.

 

Für die Schweiz wird der jährliche Biozidverbrauch für derartige Anwendungen auf 60 bis 300 Tonnen geschätzt. Stark zugenommen hat der Biozideinsatz mit der verbesserten Dämmung von Gebäuden sowie einer Architektur ohne oder mit (zu) geringem Dachvorsprung.
 
Spitzenwerte beim ersten Regen

Um die Auswaschung zu beziffern, wurden im Labor Fassadenelemente künstlich beregnet, mit UV-Licht bestrahlt und verschiedenen Temperaturen ausgesetzt. Ein eigens gebautes kleines Haus ermöglichte Tests bei realen Wetterbedingungen im Freien. Und schliesslich haben die Forscher auch an mehreren Neubauten in der Region Zürich Experimente durchgeführt. Sie fanden dabei heraus, dass vor allem in den ersten Fassadenabflüssen bei frisch verputzten oder gestrichenen Häusern die Biozidkonzentrationen enorm hoch sind. Vom Wirkstoff Diuron etwa wurden im ersten Liter Fassadenabfluss Konzentrationen von 7000 µg pro Liter gemessen. In einen Bach geleitet müsste dieser Liter 70’000-mal verdünnt werden, damit die Anforderung der Gewässerschutzverordnung nicht überschritten würde. Das zeigt, dass die Versickerung von Fassadenwasser und Einleitung aus dem Siedlungsbereich in kleine Gewässer problematisch ist. Die Konzentrationen nehmen dann allerdings sowohl bei längeren als auch mit weiteren Regenfällen rasch ab. Abhängig sind die Auswaschungsraten nicht nur von der Löslichkeit des jeweiligen Wirkstoffs, sondern auch vom photochemischen Abbau der Stoffe sowie von der Beschaffenheit der Putze und Farben.

In kleinsten Konzentrationen wirksam
Die im Fassadenablauf gemessenen und zusätzlich mit einem Computermodell abgeschätzten Biozidkonzentrationen wirken laut der Studie giftig auf Algen, Wasserpflanzen und andere aquatische Organismen. Denn verschmutztes Fassadenwasser kann etwa via Drainagen direkt in Bäche gelangen. Was an der Fassade das Algenwachstum hemmt, übernimmt diese Funktion auch im Gewässer – auch bei starker Verdünnung. Von einzelnen Wirkstoffen ist bekannt, dass bereits wenige Nanogramm pro Liter einen toxischen Effekt haben; dazu zählt etwa das aus Schiffsanstrichen bekannte Cybutryn (Synonym Irgarol®1051). Es gilt also nicht nur das pauschale Qualitätsziel des Gesetzes im Auge zu behalten, sondern auch zu differenzieren, welche Stoffe ökotoxikologisch besonders heikel sind. Ausserdem besteht nach wie vor grosser Forschungsbedarf, weil unklar ist, wie die auftretenden «Stoffcocktails» in der Umwelt wirken.

Mit der Praxis Lösungen erarbeiten
Für den Eawag-Forscher Michael Burkhardt, der das Projekt «Urbic» koordiniert hat, ist klar, dass die Biozidprodukteverordnung bei diesen Materialschutzmitteln eine Bewertungslücke aufweist, da der direkte Eintrag ab Fassaden ins Gewässer heute nicht berücksichtigt wird. Generell müsse bei der Regenwasserentsorgung aus dem Siedlungsgebiet den eingesetzten Baumaterialien und der Wasserqualität mehr Beachtung geschenkt werden, fordert Burkhardt. Doch auch die Frage müsse erlaubt sein, ob wirklich überall Biozide eingebaut werden müssen. Denn längst nicht überall ist Algen- und Pilzbefall zu erwarten. Und viele Probleme an Fassaden liessen sich vermeiden: Architekten könnten einen konstruktiven Feuchteschutz einplanen. Oder Hausbesitzer sollten mit Pflegemassnahmen wie Fassadenreinigung oder Zurückschneiden von Bäumen mehr Eigenverantwortung übernehmen, statt auf Garantieleistungen zu pochen. Gerade die Garantien zwingen nämlich die Hersteller von Kunststoffputzen und Fassadenfarben zum vermehrten Einbau von Bioziden. Zusammen mit Herstellern diskutiert die Forschergruppe aber auch innovative Einbettungsverfahren für die Wirkstoffe, die Nutzung weniger problematischer Wirkstoffe oder biozidfreier Beschichtungen und fördert einen intensiven Dialog zwischen Wissenschaft, Industrie und Behörden.

 

Fachliche Auskünfte
Dr. Michael Burkhardt, Eawag, Siedlungswasserwirtschaft, +41 44 823 53 32;
Dr. Peter Schmid, Empa, Analytische Chemie, +41 44 823 46 51;


Redaktion
Andri Bryner, Eawag, Kommunikation, +41 44 823 51 04,

 
 

Stichwort Additive

Additive sind Zusatzstoffe, die Produkten in geringen Mengen zugesetzt werden, um bestimmte Eigenschaften zu erreichen oder zu verbessern. Dieser Sammelbegriff umfasst z.B. Antioxidantien, UV-Filter und Flammschutzmittel. Auch Biozide gehören zu den Additiven, unterliegen auf Grund ihrer spezifischen Wirkung gegen Organismen aber der Biozidprodukteverordnung (VBP). Diese reguliert das Zulassungsverfahren, den Einsatz in Produkten und die Produktdeklaration. Die Schweizer VBP ist seit 2005 in Kraft und deckt sich mit der Richtlinie 98/8/EG der EU. Zum Schutz von Fassaden gegen Pilze und Algen steht eine relativ kleine Anzahl von Bioziden zur Verfügung, die in kunstharzgebundenen Putzen und Fassadenfarben als Mischungen eingesetzt werden. Teilweise enthalten sie Wirkstoffe, die auch in der Landwirtschaft eingesetzt werden, z.B. die auch als Algizid wirkenden Herbizide Diuron und Isoproturon. Einzelne Stoffe wie Terbutryn sind dagegen für landwirtschaftliche Anwendungen nicht mehr zugelassen oder aus anderen Gebieten bekannt, etwa das Algizid Cybutryn, das in Schiffsfarben zum Einsatz kommt.