Für die Schweiz wird der jährliche Biozidverbrauch für derartige Anwendungen auf 60 bis 300 Tonnen geschätzt. Stark zugenommen hat der Biozideinsatz mit der verbesserten Dämmung von Gebäuden sowie einer Architektur ohne oder mit (zu) geringem Dachvorsprung. Spitzenwerte beim ersten Regen Um die Auswaschung zu beziffern, wurden im Labor Fassadenelemente künstlich beregnet, mit UV-Licht bestrahlt und verschiedenen Temperaturen ausgesetzt. Ein eigens gebautes kleines Haus ermöglichte Tests bei realen Wetterbedingungen im Freien. Und schliesslich haben die Forscher auch an mehreren Neubauten in der Region Zürich Experimente durchgeführt. Sie fanden dabei heraus, dass vor allem in den ersten Fassadenabflüssen bei frisch verputzten oder gestrichenen Häusern die Biozidkonzentrationen enorm hoch sind. Vom Wirkstoff Diuron etwa wurden im ersten Liter Fassadenabfluss Konzentrationen von 7000 µg pro Liter gemessen. In einen Bach geleitet müsste dieser Liter 70000-mal verdünnt werden, damit die Anforderung der Gewässerschutzverordnung nicht überschritten würde. Das zeigt, dass die Versickerung von Fassadenwasser und Einleitung aus dem Siedlungsbereich in kleine Gewässer problematisch ist. Die Konzentrationen nehmen dann allerdings sowohl bei längeren als auch mit weiteren Regenfällen rasch ab. Abhängig sind die Auswaschungsraten nicht nur von der Löslichkeit des jeweiligen Wirkstoffs, sondern auch vom photochemischen Abbau der Stoffe sowie von der Beschaffenheit der Putze und Farben. In kleinsten Konzentrationen wirksam Die im Fassadenablauf gemessenen und zusätzlich mit einem Computermodell abgeschätzten Biozidkonzentrationen wirken laut der Studie giftig auf Algen, Wasserpflanzen und andere aquatische Organismen. Denn verschmutztes Fassadenwasser kann etwa via Drainagen direkt in Bäche gelangen. Was an der Fassade das Algenwachstum hemmt, übernimmt diese Funktion auch im Gewässer auch bei starker Verdünnung. Von einzelnen Wirkstoffen ist bekannt, dass bereits wenige Nanogramm pro Liter einen toxischen Effekt haben; dazu zählt etwa das aus Schiffsanstrichen bekannte Cybutryn (Synonym Irgarol®1051). Es gilt also nicht nur das pauschale Qualitätsziel des Gesetzes im Auge zu behalten, sondern auch zu differenzieren, welche Stoffe ökotoxikologisch besonders heikel sind. Ausserdem besteht nach wie vor grosser Forschungsbedarf, weil unklar ist, wie die auftretenden «Stoffcocktails» in der Umwelt wirken. Mit der Praxis Lösungen erarbeiten Für den Eawag-Forscher Michael Burkhardt, der das Projekt «Urbic» koordiniert hat, ist klar, dass die Biozidprodukteverordnung bei diesen Materialschutzmitteln eine Bewertungslücke aufweist, da der direkte Eintrag ab Fassaden ins Gewässer heute nicht berücksichtigt wird. Generell müsse bei der Regenwasserentsorgung aus dem Siedlungsgebiet den eingesetzten Baumaterialien und der Wasserqualität mehr Beachtung geschenkt werden, fordert Burkhardt. Doch auch die Frage müsse erlaubt sein, ob wirklich überall Biozide eingebaut werden müssen. Denn längst nicht überall ist Algen- und Pilzbefall zu erwarten. Und viele Probleme an Fassaden liessen sich vermeiden: Architekten könnten einen konstruktiven Feuchteschutz einplanen. Oder Hausbesitzer sollten mit Pflegemassnahmen wie Fassadenreinigung oder Zurückschneiden von Bäumen mehr Eigenverantwortung übernehmen, statt auf Garantieleistungen zu pochen. Gerade die Garantien zwingen nämlich die Hersteller von Kunststoffputzen und Fassadenfarben zum vermehrten Einbau von Bioziden. Zusammen mit Herstellern diskutiert die Forschergruppe aber auch innovative Einbettungsverfahren für die Wirkstoffe, die Nutzung weniger problematischer Wirkstoffe oder biozidfreier Beschichtungen und fördert einen intensiven Dialog zwischen Wissenschaft, Industrie und Behörden. |